„Die Nebenübungen als Kraftquelle im individuellen und sozialen Leben“
Zusammenfassung eines Vortrages von Frau Dr. med. Michaela Glöckler
Wir sind als Menschen unvollkommene Wesen. Die Natur hat uns nicht festgelegt, wie wir zu sein haben. Krone der Schöpfung bedeutet also, dass die Natur, die Schöpfung, im wahrsten Sinne des Wortes in jedem von uns zu einem Ende gekommen ist. Wenn Freiheit als neue Qualität in dieser Schöpfung entstehen soll, als etwas, das nur durch den Menschen und seine Art der Entwicklung möglich werden kann – dann muss es im Menschen einen Bereich geben, über den nur er allein verfügen kann. Diesen seelischen Freiraum bewusst zu machen und zu üben, ihn gut zu gebrauchen – das scheint Hintergrund und Sinn der Nebenübungen zu sein. Indem wir diese Übungen machen, erleben wir unmittelbar, in welchem Maße unsere gesamte geistig-seelische Entwicklung von unserem freien Willen abhängt. Der Mensch ist der Ort der Verwandlung, wo bisherige Schöpfung an ihr Ende kommt und eine neue Schöpfung beginnt.
Michaela Glöckler hielt diesen Vortrag und ein Seminar am 20. und 21. September im Rudolf Steiner Haus. Er ist Hintergrund und Vorbereitung auf das Thema: „Die Nebenübungen als Kraftquelle im individuellen und sozialen Leben“
Dr. med. Michaela Glöckler, Kinderärztin; bis 1987 am Gemeinschaftskrankenhaus Herdecke und schulärztliche Tätigkeit an der Rudolf Steiner Schule Witten; 1988 bis 2016 Leitung der Medizinischen Sektion am Goetheanum/Schweiz; Mitbegründerin der Alliance for Childhood und der Europäischen Allianz von Initiativen angewandter Anthroposophie/ELIANT; internationale Vortrags- und Seminartätigkeit; diverse Publikationen zu Fragen der Medizin, Pädagogik, Erziehung, u.a. Mitautorin der bekannten Erziehungsratgeber «Kindersprechstunde» und «Elternsprechstunde“
Ein freies, selbstbestimmtes Wesen kann nur ich aus mir selbst machen, die Natur kann es nicht, die Gesellschaft kann es nicht – ich darf und ich muss es selber machen. Wenn ich es aber nicht mache – welche Identität habe ich dann? Wir haben die drei Worte für unsere Identität: Ich, wahres Selbst und Höheres Selbst. Das wahre Selbst ist das, was ich mir als Ideal in innerster Wahrhaftigkeit und Gewissensfreiheit selber vornehme „zu werden“. Meist sind es Zeiten der Krise, in denen wir merken: „Wenn ich mich jetzt nicht wirklich ergreife, mir selber sage, was und wer ich werden will, dann herrschen andere über mich oder ich werde krank oder rutsche völlig ab.“ Wenn wir in diesen dunklen Stunden bestehen wollen, sind wir gefordert, diesen Schritt der Selbstbestimmung zu wagen – wenn nichts mehr trägt, lernen wir, uns in uns selbst zu halten und unserem Werde-Ideal, das uns trägt, zu vertrauen. Weiterlesen „Das eigene Menschsein entwickeln Teil II“
„Die Nebenübungen als Kraftquelle im individuellen und sozialen Leben“
Zusammenfassung eines Vortrages von Frau Dr. med. Michaela Glöckler
Wir sind als Menschen unvollkommene Wesen. Die Natur hat uns, im Gegensatz zur sonstigen Schöpfung, nicht festgelegt, wie wir zu sein haben. Wir sind als Menschen fähig zu liebevollsten Handlungen und zu massivster Zerstörung. Wohin wollen und können wir uns entwickeln, welchen Sinn wollen wir unserem Dasein geben? Was ist meine Identität, mein „Leitbild“, wie ich als Mensch auf Erden sein möchte? Wir müssen mit unseren Bewusstseinskräften ersetzen, was der Körper instinktiv nicht leistet. Dieses Phänomen ist der Hintergrund für die Notwendigkeit, an sich zu arbeiten.
Michaela Glöckler hielt diesen Vortrag und ein Seminar am 20. und 21. September im Rudolf Steiner Haus. Er ist Hintergrund und Vorbereitung auf das Thema: „Die Nebenübungen als Kraftquelle im individuellen und sozialen Leben“
Dr. med. Michaela Glöckler, Kinderärztin; bis 1987 am Gemeinschaftskrankenhaus Herdecke und schulärztliche Tätigkeit an der Rudolf Steiner Schule Witten; 1988 bis 2016 Leitung der Medizinischen Sektion am Goetheanum/Schweiz; Mitbegründerin der Alliance for Childhood und der Europäischen Allianz von Initiativen angewandter Anthroposophie/ELIANT; internationale Vortrags- und Seminartätigkeit; diverse Publikationen zu Fragen der Medizin, Pädagogik, Erziehung, u.a. Mitautorin der bekannten Erziehungsratgeber «Kindersprechstunde» und «Elternsprechstunde“
Ich freue mich, dass wir zu diesem schönen und hilfreichen Thema zusammengekommen sind.
Warum ist dieses Thema so wichtig? Weil wir Menschen sehr interessante Wesen sind. Was macht die Sonderstellung des Menschen aus? In biblischer Tradition heißt der Mensch sogar „Krone der Schöpfung“. Und dann sehen wir, wie wir unsere Erde zerstören, Mord und Totschlag anrichten und immer wieder herumrätseln, was eigentlich der Mensch ist. Schaut man in die Natur, stellt man fest: Die Schöpfung gelingt mühelos.
Beiträge von Wolfgang Müller und Christopher von Bar
Die anthroposophische Heilpädagogik feiert in diesem Jahr ihr 100-jähriges Bestehen. 1924 hielt Rudolf Steiner vor jungen Menschen den Heilpädagogischen Kurs. Diese jungen Menschen gründeten kurze Zeit später die ersten heilpädagogischen Einrichtungen. Seit dieser Zeit hat sich eine weltweite Bewegung mit über 650 Einrichtungen in 50 Ländern entwickelt! (Heilpädagogik für Kinder und Sozialtherapie für erwachsene Menschen mit Behinderung) „Auch wenn vieles heute sicher anders gesagt werden würde … legt der der heilpädagogische Kurs Grundlagen für die therapeutische und pädagogische Arbeit“ (C. von Bar)
Wie steht die Anthroposophie zu Menschen mit Behinderung?
Beitrag von Wolfgang Müller aus seinem Buch „Nachgefragt: Anthroposophie“ (siehe Hinweis Mai 2024)
Foto: Jens Heisterkamp
Das tiefe Interesse am jeweiligen Individuum, das die Anthroposophie charakterisiert, zeigt sich auch und gerade dort, wo es um Menschen mit bestimmten Einschränkungen oder Behinderungen geht. So forderte Steiner auch – damals ganz ungewöhnlich – einen Namen zu finden, der diese Menschen „nicht gleich abstempelt“. Seine Mitarbeiter sprachen daher von Anfang an von „Seelenpflege-bedürftigen“ Kindern bzw. Erwachsenen und lenkten den Blick weg vom Defizit zum Bedarf.
Bezeichnenderweise erkannte Steiner auch viel früher als andere die Gefahren durch die Eugenik, also durch Programme zu einer genetischen Verbesserung der Menschheit, die damals weithin als progressiv galten. Aus Sicht dieser Eugeniker waren Behinderungen nichts als eine Fehlleistung der Natur, die zu eliminieren war. „Begonnen hat ja nach dieser Richtung Verschiedenes“, sagte Steiner mit Blick auf den großen Eugenik-Kongress in London 1912. Er warnte vor den Folgen, wenn aus solchen Theorien soziale Praxis werde: „Und da wird kaum die erste Hälfte dieses Jahrhunderts zu Ende gehen, ohne dass auf diesen Gebieten dasjenige geschieht, was für den Einsichtigen ein Furchtbares ist.“ So Steiner 1917.
Die anthroposophische Medizin und Heilpädagogik versuchte eine humanere Praxis zu verwirklichen. Eines der bekanntesten Beispiele ist der Kinderarzt und Anthroposoph Karl König. Wegen seiner jüdischen Herkunft musste er nach dem deutschen Einmarsch 1938 aus Wien fliehen und gründete in Schottland die wegweisende Camphill-Bewegung. Jedes Kind, so König, „ist unser Bruder und Schwester“. „Und wie sehr auch seine Individualität verdeckt sein mag durch viele Schichten des Unvermögens, der Gelähmtheit, von unkontrollierten Gefühlen, wir müssen trotzdem versuchen, durch diese Schichten durchzubrechen, um das Heiligste jedes Menschen zu erreichen…“
Eine filmreife Geschichte ist die des Anthroposophen Hubert Bollig. Er hatte bei Karlsruhe ein Heim für „schwer erziehbare“ Kinder gegründet. Als es mit Kriegsbeginn 1939 geräumt werden musste, konnte er 33 der 40 Kinder bei deren Verwandten unterbringen. Dann begann mit den übrigen sieben eine Odyssee; ohne festen Wohnsitz zog die kleine Gruppe mitten in der Hitlerzeit durch den Schwarzwald und den Bodenseeraum. Als Bollig weitere fünf Kinder in andere Obhut geben konnte, blieben zwei, die durch die T4-Euthanasie-Aktion der Nazis bedroht waren. Für eines davon fand er ein Heim in der sicheren Schweiz. Es blieb der junge Otto Nicolai, mit Down-Syndrom. Für ihn organisierte Bollig ein ärztliches Gutachten, das ihn als unentbehrlichen Helfer für seine gehbehinderte Frau auswies. Bollig musste noch einige Wochen Gestapo-Haft überstehen, kam aber wieder frei. Der bei den Bolligs lebende Junge überlebte die NS-Zeit, er starb 1980.
Heute gibt es, auf viele Länder verteilt, mehr als siebenhundert Einrichtungen der anthroposophischen Heilpädagogik und Sozialtherapie. Sie versuchen ihren Bewohnerinnen und Bewohnern ein menschlich verlässliches, gut strukturiertes, anregungsreiches Zuhause zu bieten, soweit möglich auch mit Einbindung in bestimmte Arbeitsfelder. Und eben getragen von einem Geist, der alle Menschen mit ihren besonderen Eigenschaften in ihrem ureigenen Wesen zu sehen und zu fördern versucht.
Damit gehören diese Einrichtungen zu den kraftvollsten Orten, an denen eine gelebte Humanität erfahrbar wird. Manche Außenstehende, die damit persönlich in Berührung kamen, wurden zu starken Unterstützern des anthroposophischen Impulses, auch mit bedeutenden Stiftungen. Man könnte auch eine Geschichte der Anthroposophie nur unter dem Gesichtspunkt der Dankbarkeit schreiben.
„Menschen mit Assistenzbedarf können den anderen einen Spiegel vorhalten“
Interview mit Christopher v. Bar, Heilpädagoge und Geschäftsführer von Franziskus e.V. in Sülldorf
Foto: privat
Christine Pflug: Was geben diese Menschen mit Assistenzbedarf den anderen, der Gesellschaft?
Christopher von Bar: Zunächst einmal denke ich, dass Menschen mit Assistenzbedarf so individuell sind wie der Rest der Gesellschaft auch. Sie sind sozial und unsozial, fröhlich und traurig, freundlich und abweisend … Menschen mit Assistenzbedarf sind aber auch immer wieder erfrischend offen und direkt. Während ich selbst bei jeder Begegnung bewusst oder unbewusst überlege, wie ich bei dem anderen ankomme, sagt der Mensch mit Assistenzbedarf oft genau dass, was er im Augenblick fühlt! Diese Direktheit kann dem Gegenüber im ersten Augenblick irritieren, kann dann aber, da von Herzen kommend, als ehrliche Rückmeldung erlebt werden. Aber auch auf einer anderen Ebenen können Menschen mit Assistenzbedarf der Gesellschaft einen Spiegel vorhalten: in einer Gesellschaft in der alles immer schneller, besser, optimierter laufen muss, bilden sie ein Gegengewicht: schaut her, es kann auch ganz anders gehen!
Die Frage für mich ist eigentlich, wie wir Menschen mit Assistenzbedarf sehen und welchen Raum wir ihnen in unserer Gesellschaft geben und einräumen wollen. Aktion Mensch hat Inklusion wie folgt beschrieben: „Inklusion bedeutet, dass jeder Mensch ganz natürlich dazu gehört. Oder anders: Inklusion ist, wenn alle mitmachen dürfen. Egal wie du aussiehst, welche Sprache du sprichst oder ob du eine Behinderung hast. Zum Beispiel: Kinder mit und ohne Behinderung lernen zusammen in der Schule. Wenn jeder Mensch überall dabei sein kann, am Arbeitsplatz, beim Wohnen oder in der Freizeit: Das ist Inklusion.“
Wenn wir das nicht nur in unseren therapeutischen Gemeinschaften erreichen würden, sondern in kleinen Schritten auch in unserem Umfeld, dann würden wir der beobachtbaren Entsolidarisierung in der Gesellschaft etwas Positives entgegensetzen.
C. P.: Wie hat sich die soziale Arbeit im Laufe der Jahrzehnte entwickelt? Was braucht es für die Zukunft?
Christopher von Bar: Ich arbeite nun seit 46 Jahren in der Heilpädagogik und Sozialtherapie. In dieser Zeit hat sich das Bild des Menschen mit Behinderung immer wieder gewandelt und weiterentwickelt. Die anthroposophische Arbeit mit Menschen mit Handicap war bis in die 1980 Jahr fortschrittlich und innovativ. In ganz Deutschland und weltweit haben sich Dorfgemeinschaften gegründet, in denen Menschen mit und ohne Handicap zusammenlebten. Dann habe ich aber die Wahrnehmung, dass in vielen anthroposophischen Einrichtungen und Gemeinschaften eine Weiterentwicklung stagnierte oder ausgeblieben ist. Eine Fokussierung auf die Selbstwirksamkeit und Individualisierung wurde in vielen Einrichtungen als Widerspruch zur Gemeinschaftsbildung empfunden, und von daher hat man eher versucht sie zu verhindern als zu fördern. Andere Träger wie z. B. die Lebenshilfe betonten die Individualisierung intensiv, weil der Gemeinschaftsgedanke nicht in ihrem Fokus stand. In den letzten Jahren, auch noch einmal impulsiert durch die UN-Behindertenrechts-Konvention, gab es aber deutliche und gute Entwicklungsschritte. Insbesondere unser Bundesverband Anthropoi hat Menschen mit Assistenzbedarf eine immer stärkere Stimme gegeben. So sind die Menschen mit Assistenzbedarf in fast allen Gremien des Verbandes als Selbstvertreter:innen mit dabei.
Es bleibt aber weiterhin eine lebendige Gratwanderung, auf der einen Seite die Menschen mit Assistenzbedarf in ihrer Selbstwirksamkeit zu stärken, auf der anderen Seite die Gemeinschaft zu pflegen und weiterzuentwickeln.
Das Jahr 2024 ist für alle anthroposophischen heilpädagogischen und sozialtherapeutischen Gemeinschaften ein besonderes Festjahr und gibt die Möglichkeit zu einer Retrospektive! Denn vom 25. Juni bis 7. Juli 1924 hat Rudolf Steiner vor einer kleinen Gruppe von Menschen 12 Fachvorträge in Dornach/Schweiz gehalten. Dabei standen menschenkundliche und medizinische Fragestellungen im Vordergrund. Die Vorträge bilden die Grundlage, aus der sich eine weltweite Bewegung mit 650 Einrichtungen in 50 Ländern entwickelt hat!
Auch wenn vieles heute sicher anders gesagt werden würde, der heilpädagogische Kurs vermittelt keine Rezepte, sondern legt Grundlagen für die therapeutische und pädagogische Arbeit. Wie vielfältig diese Impulse aufgegriffen wurden, sehen wir an der Vielzahl der unterschiedlichen Einrichtungen und Gemeinschaften in der ganzen Welt, ob in Pakistan, Südafrika, Neuseeland oder Amerika, überall gibt es Frühfördereinrichtungen, Schulen, Berufsschulen, verschiedenste Wohnprojekte und Gemeinschaften für ältere Menschen mit Assistenzbedarf. Der damalige Impuls von Steiner ist immer noch lebendig und führt zu neuen Formen in der Begleitung von Menschen mit Assistenzbedarf.
Die gegenwärtigen gesellschaftlichen Krisen bringen gewohnte Sicherheiten des Lebens zum Wanken und erschüttern Vertrauen: Können wir uns angesichts der Klimakrise auf unseren Lebensraum verlassen? Können wir bei den vielen Konflikte im Zwischenmenschlichen, im Gesellschaftlichen und den kriegerischen Auseinandersetzungen auf menschliche Beziehungen bauen? Sind die zahllosen Informationen, die wir täglich erhalten, vertrauenswürdig? Zu den Krisen der Gegenwart gehört auch die Vertrauenskrise.
Dr. Matthias Girke ist Mitbegründer des Gemeinschaftskrankenhauses Havelhöhe, Klinik für Anthroposophische Medizin, und war dort über 21 Jahre Leitender Arzt der Allgemeinen Inneren Medizin. 2016 übernahm er die Leitung der Medizinischen Sektion am Goetheanum in der Schweiz und seit 2017 ist er Vorstandsmitglied der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft.
Vertrauen kann abnehmen, sogar zerstört werden. Umso mehr entsteht dann die Frage: Woher kommen neue Kräfte des Vertrauens und wie lassen sich ihre Quellen erschließen?
Zusammenfassung eines Vortrages von Bastian Barucker
In unserer Gesellschaft gibt es Gruppierungen, die konträre Ansichten vertreten, und die sich damit gegenseitig bekämpfen und diffamieren. Spätestens seit der Corona-Krise wurde das sichtbar. Diese Polarisierung setzt sich inzwischen mit anderen Themen fort, Klima, Antisemitismus, derzeitige Kriege usw. Was steht hinter dieser Polarisierung? Wie entstehen sie? Wie können wir sie überwinden?
Der Vortrag zu obigem mit anschließendem Gespräch fand statt am 1. Februar im Rudolf Steiner Haus und wurde von ca. 130 TeilnehmerInnen besucht. Es war eine Gastveranstaltung der Initiative „Mut zu Zwischentönen“; die u. a. das Thema Corona-Krise aufzuarbeiten versucht, denn „was nicht angeschaut wird, ist in Gefahr sich zu wiederholen“.
Bastian Barucker ist Wildnispädagoge, Prozessbegleiter in Gefühls- und Körperarbeit, hat Lehraufträge an Hochschulen, ist Vorstandsmitglied eines Naturkindergartens. Er hat viele Male bis zu einem Jahr mit Gruppen im Wald gelebt. Er hat Bücher geschrieben zu Themen „Wie lebt man als Gruppe zusammen? Was prägt das Verhalten des Menschen?“
Spaltung ist ein großes Thema, und wir können uns dem nur annähern. Ich stelle im Folgenden dar: Was ist meine Perspektive auf Spaltung? Wie entsteht sie? Was ist individuelle und was ist gesellschaftliche Abgespaltenheit? Was kann getan werden? Wie sieht eine Kommunikation aus, die Brücken baut?
Interview mit Annette Horster-Schepermann, Traumatherapeutin
Das Wort „Trauma“ wird seit einiger Zeit häufig verwendet. Flucht und Kriege sind häufig Ursachen von Traumatisierungen, aber auch andere Ereignisse führen zu seelischen Verletzungen. Wann aber kann man von einem Trauma sprechen und was sind Traumafolgestörungen? Die heutige Traumatherapie kann diese Verletzungen heilen oder zumindest deutlich lindern. Und: „Wir dürfen uns heute bewusst machen: Wir geben nicht nur unverarbeitete Traumatisierungen, sondern auch deren Überwindung und unsere dabei errungene Ich-Stärke und Resilienz transgenerational an unsere Kinder und zukünftige Generationen weiter!“
Foto privat
Interviewpartnerin: Annette Horster-Schepermann, Studium der Psychologie in den USA und Hamburg. Seither tätig als Psychologin im Kinder- und Jugendpsychiatrischen Dienst in Eppendorf und in der waldorforientierten Psychotherapeutischen Praxisgemeinschaft Bergstedt. Weiterbildungen in Anthroposophischer Psychotherapie, Familientherapie und Kinder-, Jugendlichen- und Erwachsenen-Traumatherapie, waldorforientierte analytische Kunsttherapeutin, Sterbebegleiterin. Mitbegründerin und fachliche Leitung des Isis-Institutes Hamburg und des Pegasos-Netzwerkes für spirituell erweiterte integrative Traumatherapie. Seit 2022 fachliche Leitung der beiden Weiterbildungsgänge in waldorforientierter Traumapädagogik und Traumatherapie des Isis-Institutes Hamburg (www.isis-institut-hamburg.de), Mitautorin des Lehrbuches für waldorforientierte Trauma- und Notfallpädagogik „Kinder stärken – Zukunft gestalten“, Dozentin zur Pentagramm-Traumaarbeit im Studiengang Notfall- und Traumakunsttherapie an der Alanus-Hochschule in Alfter.
Christine Pflug: Die Begriffe Trauma und Traumatisierung werden in der letzten Zeit häufig benutzt, manchmal habe ich den Eindruck, auch unangemessen und inflationär. Was genau ist ein Trauma?Weiterlesen „Traumata“
Interview mit Sarah van Hamme, Oberstufenlehrerin und Dozentin
Die Jugendlichen und die Kinder sind diejenigen, die am meisten in der Corona-Zeit gelitten haben. Sogar unser Gesundheitsminister hat sich bei ihnen entschuldigt, dass die Maßnahmen zu drastisch waren. Aber auch andere Themen betreffen besonders diese „woken“, reflektierten, politisch aktiven jungen Menschen. Die „letzte Generation“ macht mit ihren Aktionen auf die Klimakrise aufmerksam. Konventionelle Geschlechtszugehörigkeiten werden infrage gestellt und aufgelöst. Und seit letztem Winter gibt es ChatGPT, das bisherige Unterrichtsmethoden obsolet macht. Herausforderungen auf vielen Ebenen, für die Jungen und auch für die „Alten“!
Interviewpartnerin Sarah van Hamme: Studium der Germanistik, Geschichte und Kunstgeschichte, nebenbei arbeitete sie Jahre beim Fernsehen. „Dann wollte ich eigentlich promovieren. Als ich aber im Doktoranden-Kolloquium saß, hatte ich plötzlich die Eingebung, dass ich mit Jugendlichen arbeiten möchte und Lehrerin werden will.“ So begann sie 2012 die Vollzeitausbildung am Waldorfseminar in Hamburg; absolvierte das SPJ in der Steiner Schule Bergstedt, unterrichtete anschließend 8 Jahre in Altona in der Oberstufe Deutsch, Geschichte, Philosophie, auch Sozialkunde, Kunstgeschichte. Seit 2022 ist sie freie Lehrerin mit Gastepochen an verschiedenen Rudolf Steiner Schulen und Dozentin im Waldorfseminar und an der Berufsschule für Erzieher. Neben dem Unterrichten ist sie Künstlerin.
Christine Pflug: Die Kinder und die Jugendlichen haben am meisten unter den Corona-Maßnahmen gelitten. Wie geht es ihnen?
Interview mit Katrin von Kamen und Volker Thon, Mitarbeiter:in der Fachstellen für Gewaltprävention
Gewalt gehört zu unseren alltäglichen Erscheinungen. Leider! Wir wissen von brutaler Gewalt in weltweiten Zusammenhängen, lesen, was immer wieder in Institutionen geschieht und jede:r von uns hat mindestens Gewalt in Form von Übergriffigkeiten erlebt. Ab wann beginnt Gewalt, in welchen Stufen tritt sie auf? Und vor allem: Was braucht es, um sie zu verhindern und andere Möglichkeiten des Umgangs zu finden? Katrin von Kamen und Voker Thon berichten aus ihrer langjährigen Erfahrung in Einrichtungen.
Mit Matthias Bölts, Musiker und Ulrich Meier, Pfarrer
Ulrich Meier Foto: Wolfgang Schmidt
Gerade jetzt am Jahresende erleben wir die Zeit sehr verschieden. In unserer Zivilisation verläuft die Vorweihnachtszeit meistens hektisch, danach sollte Stille eintreten. Am Jahresende blicken wir auf das vergangene Jahr zurück und denken über die Zukunft nach. Die 12 Heiligen Nächte gelten als ein besonderer, herausgehobener Zeitraum.
Wie können wir mit Zeit schöpferisch umgehen, ihr gegenüber ein aktives Verhältnis gewinnen? Wie gehen wir angemessen mit Vergangenem, Zukünftigem und Gegenwärtigem um? Welche Dimension hat Zeit in der Meditation?
Matthias Bölts und Ulrich Meier hatten in diesem Jahr im Rudolf Steiner Haus zwei Seminare zum Thema „Zeitbewusstsein entwickeln“ gegeben. Ein drittes wird in 2023 folgen.
Interviewpartner: Ulrich Meier, Pfarrer der Christengemeinschaft seit 1990. Davor Ausbildung zum staatlich anerkannten Erzieher und zwei Jahre Tätigkeit im Landschulheim Schloss Hamborn. 16 Jahre Gemeindepfarrer in Hannover, seit 2006 in Hamburg Mitarbeit in der Leitung des Priesterseminars und Gemeindepfarrer in Hamburg-Mitte. Redakteur der Zeitschrift „Die Christengemeinschaft“.
Matthias Bölts: Musiker; Orgel-, Chorleitungs- und Kompositionsstudium in Berlin; Mitarbeit in der Leitung von MenschMusik Hamburg; Dozent für Musikalische Phänomenologie und Musiktheorie; Seminare und Publikationen zu Fragen des inneren Lebens und der anthroposophischen Meditation; Matthias Bölts lebt mit seiner Familie in Hamburg.
Christine Pflug: Gerade jetzt am Jahresende erleben wir unterschiedliche Zeitqualitäten: Die Vorweihnachtszeit ist im Allgemeinen stressig, danach kommt Ruhe. Man kann das mit äußeren Umständen begründen, aber ist das die einzige Ursache? Wie kann man an diesem Jahresabschnitt festmachen, dass wir Zeit so verschieden erleben?
Zusammenfassung eines Vortrages von Dr. Sebastian Lorenz
Der Mensch soll optimiert werden, er soll sein Aussehen, seine physischen, seelischen Möglichkeiten selbst bestimmen, Alterung und Tod verhindern. Und das mit den Mitteln der Technologie. Die Idee von einem Jungbrunnen oder einem Lebenselixier sind uralt und gehen bis auf das Gilgamesch-Epos zurück. Die technologischen Mittel aber werden immer besser, genialer und ermöglichen eine Lebensqualität, von der wir alle profitieren. Eine Weiterentwicklung des Menschen ist auch das Ziel der Anthroposophie. Was aber ist der Unterschied zum Transhumanismus? Wie steht der einzelne Mensch darin, einerseits der technischen Entwicklung nicht ausweichen zu können, sich von dieser aber nicht überrollen zu lassen? Und inwiefern ist der Mensch in all diesem „umkämpft“?
Dr. Lorenz ging diesen Fragen nach am 15. September in der Lukas-Kirche in der Reihe: Umkämpftes Menschenbild. Transhumanismus – Die Optimierung des Menschen?
Dr. med. Sebastian Lorenz, Jg. 1968, ist Arzt, Berater und Autor mit freier Forschungstätigkeit. Er arbeitet seit 1998 psychiatrisch im Kanton St. Gallen/Schweiz und wirkt mit Seminar- und Vortragstätigkeit im deutsch- und englischsprachigen Raum zu spirituellen, christlichen und zeitaktuellen Themen. Studium der Medizin, Philosophie, Theologie, Sprachen, Rechts- und Wirtschaftswissenschaften an den Universitäten von Zürich, Freiburg (Brsg.), Stuttgart (FH) und Harvard. Gegenwärtige Arbeitsschwerpunkte sind das Christuswesen, die Künstliche Intelligenz und die seelische Gesundheit des Menschen.
Zu Beginn des 9. Kapitels des Johannesevangeliums wird erzählt, wie Jesus einen Menschen heilt, der von Geburt an blind war. Man könnte daher mit etwas Übertreibung sagen, dass Christus der „ultimative Transhumanist“ ist. Wenn man dieses Bild der Heilung eines Blinden in sich belebt, kann man begeistert sein und sich freuen an dem Erfolg der Heilung. Diese Begeisterung und die Freude über den Erfolg an einer Heilung leben heute weiter in ganz vielen Menschen, die nichts wissen vom Christus, aber voller Tatendrang sind, solche Wunder zu vollbringen. Und solche Wunder werden heute von tatkräftigen Menschen vollbracht mit den Mitteln der Technologie.
Zusammenfassung eines Vortrages von Helmut Eller, Vortragsredner und ehem. Waldorflehrer
„Wir leben in einer apokalyptischen Zeit“, so wurde der Vortrag von Herrn Eller vorgestellt. „Wie gut, dass wir in einer apokalyptischen Zeit leben. Dann sieht man die Dinge. Und nur, wenn man die Dinge sieht, kann man daran arbeiten. Apokalypse ist jugendhaft, da ist immer viel Sturm und Drang, dann hat man auch die Jugendkräfte, neu anzufangen und etwas zu ändern.“
Diese Sichtweise, die sich auf die Chancen richtet, war die Einleitung zu der Vortragsreihe der Lukas-Kirche Volksdorf: „Umkämpftes Menschenbild“. In dieser Reihe hielt Helmut Eller am 1. September seinen Vortrag, in dem er besonders auf die Dreiheit in dem anthroposophischen Verständnis über das Bild des Menschen einging.
Helmut Eller war 40 Jahre lang Waldorflehrer; während dieser Zeit hatte er parallel 25 Jahre an der Universität einen Lehrauftrag für Waldorfpädagogik. Bis heute gibt er Seminare in unterschiedlichen Zusammenhängen, hält anthroposophische Vorträge und u. a. war er dafür zehnmal in Japan. Er hat verschiedene Bücher geschrieben, u.a. ein Buch über die Entwicklung des Kindes.
Wie kann die Dreiheit, also die Dreigliederung, dazu beitragen, dass man die Welt anders verstehen kann?
Interview mit Luke Barr, Pfarrer der Christengemeinschaft
Wir alle haben in unserem Leben Rituale, auf die eine oder andere Weise. Beispielsweise wie wir morgens in den Tag kommen, familiäre Abläufe und Feiern gestalten, und gerade jetzt, in der dunklen Jahreszeit und auf das Ende des Jahres zu, begehen wir viele Rituale. Sie können einen religiösen Charakter haben, können Gewohnheiten sein, sind Brauchtum und Ausdruck verschiedener Kulturen. Diese festen Handlungsabläufe verleihen unserem Leben Struktur, geben uns ein Gefühl der Sicherheit und binden uns an etwas an, das über uns steht.
Interview mit Ulrike Steurer, Ärztin, Dr. med. Irene Stiltz, Ärztin, Jörgen Day, Pfarrer i.R.
… gib jedem seinen eignen Tod. Das Sterben, das aus jenem Leben geht, darin er Liebe hatte, Sinn und Not.“ ¹Rainer Maria Rilke
Welchen Tod wünschen wir uns? Ist in einer extremen Situation eine Selbsttötung, sei es durch eine Assistenz oder alleine durchgeführt, Ausdruck oder Verletzung der Menschenwürde? Im Februar 2020 hat das Bundesverfassungsgericht die „Beihilfe zur Selbsttötung“ auf geschäftsmäßiger Grundlage für nicht mehr strafbar erklärt. Seitdem wird über den Handlungsbedarf und die Rahmenbedingungen auf gesellschaftlicher und politischer Ebene diskutiert.
Zum Beispiel aus Nordafrika, Asien und Südosteuropa
Von Micaela Sauber, Erzählkünstlerin und Initiatorin von „Erzähler ohne Grenzen"
Überall auf der Welt, wo Menschen sind, sind auch Märchen, Legenden, Mythen und Sagen entstanden und wurden über Jahrhunderte weiter erzählt. Ich möchte Sie zu einem kleinen Streifzug mit zwei Märchenerzählungen in den Mittelmeerraum und nach Rumänien einladen. Es ist Sommer. Die Sehnsucht zieht mit der Sonne, den Wolken, dem Wind und den Sternen in die Ferne. Zahllos wie Sterne sind die Märchen der Welt. Der Himmel, an dem die Sterne leuchten, ist ihre gemeinsame Heimat und die Sternbilder der Fixsterne, der Charakter der Wandelsterne können vielfach gedeutet werden. Die Richtung und der Grund, von dem aus wir schauen, bestimmen die Sichtweise.
Auch dort, wo die digitalen Medien sich in den Seelen der Menschen längst breit gemacht haben, versammeln sich wieder Menschen, um direkt vom Mund ins Ohr Märchen zu erzählen, und zwar nicht nur für Kinder. In der Anthologie „Im Auge des Sturms – Schlüsselgeschichten von Erzähler ohne Grenzen“ berichten 35 AutorInnen von der Wirksamkeit des mündlichen Erzählens von Märchen.
Wie wird unser Selbstverständnis bestimmt? In der Mai-Ausgabe des Hinweis beschrieb Frau Michaela Glöckler, dass wir eine „alte“ Identität haben, die zum einen durch Erziehung und Einflüsse von außen gebildet wurde, und zum anderen darin besteht, wie wir uns selbst erleben. Beides ist sehr wechselhaft, weil die äußeren Umstände mehr oder weniger förderlich und sind und sich auch immer ändern. Erlebt der Mensch in seiner Biografie eine „zweite Geburt“, dann schafft er sich ein Selbstbewusstsein, das einen unzerstörbaren Mittelpunkt hat.
Die menschliche Biografie entwickelt sich in Gesetzmäßigkeiten. Wie verhält sich nun die biografische Entwicklung zu diesen beiden Formen der Identität?
Vorliegender Text ist eine Zusammenfassung eines online-Vortrages von Michaela Glöckler, gehalten auf einem webinar am 13./14. März, veranstaltet von der BVBA (Berufsvereinigung Biografiearbeit auf Grundlage der Anthroposophie www. biographiearbeit.de), an dem über 100 Teilnehmer*innen zuhörten. Der Titel hieß «Wer bin ich? Was ist mein Weg? Biografiearbeit als Schlüssel zu einem neuen Selbstverständnis».
Dr. med. Michaela Glöckler, Kinderärztin; bis 1987 am Gemeinschaftskrankenhaus Herdecke und schulärztliche Tätigkeit an der Rudolf Steiner Schule Witten; 1988 bis 2016 Leitung der Medizinischen Sektion am Goetheanum/Schweiz; Mitbegründerin der Alliance for Childhood und der Europäischen Allianz von Initiativen angewandter Anthroposophie/ELIANT; internationale Vortrags- und Seminartätigkeit; diverse Publikationen zu Fragen der Medizin, Pädagogik, Erziehung, u.a. Mitautorin der bekannten Erziehungsratgeber «Kindersprechstunde» und «Elternsprechstunde»; mit der Biografiearbeit auf Grundlage der Anthroposophie seit deren Initiierung in den 1980er-Jahren durch den Psychiater Bernard C. Lievegoed verbunden.
Wie können wir in der Biografie mit ihren Gesetzen in jedem Lebensalter neue Aspekte unserer Identität erüben und erfahren? Wie verhält sich die biografische Entwicklung zu diesen beiden Formen der Identität? Weiterlesen „Wer bin ich? Was ist mein Weg?“
Wir leben drei Leben: unser ganz persönliches Leben, unser soziales Leben und unser Leben als Zeitgenosse*in, durch das wir am Schicksal der ganzen Menschheit Anteil haben. Allen drei Wege provozieren die Frage nach der eigenen Identität: Wer bin ich? Wie werde ich von den Menschen in meinem Umkreis gesehen? Was ist der Mensch – was heißt es für mich, ein Mensch zu sein oder besser: ein Mensch zu werden? Wie kann man ein Selbstverständnis finden, das einen festen Mittelpunkt in sich selber hat, der nicht mehr zu verunsichern ist, der so stabil ist, dass man ihn sogar durch die Todespforte tragen kann? Es gibt in den spirituellen Traditionen und auch im Christentum die wunderbare Lehre von zwei Geburten und von zwei Toden, man kann zweimal geboren werden und zweimal sterben.
Vorliegender Text ist eine Zusammenfassung eines online-Vortrages von Michaela Glöckler, gehalten auf einem webinar am 13./14. März, veranstaltet von der BVBA (Berufsvereinigung Biografiearbeit auf Grundlage der Anthroposophie www. biographiearbeit.de), an dem über 100 Teilnehmer*innen zuhörten. Der Titel hieß «Wer bin ich? Was ist mein Weg? Biografiearbeit als Schlüssel zu einem neuen Selbstverständnis».
Dr. med. Michaela Glöckler, Kinderärztin; bis 1987 am Gemeinschaftskrankenhaus Herdecke und schulärztliche Tätigkeit an der Rudolf Steiner Schule Witten; 1988 bis 2016 Leitung der Medizinischen Sektion am Goetheanum/Schweiz; Mitbegründerin der Alliance for Childhood und der Europäischen Allianz von Initiativen angewandter Anthroposophie/ELIANT; internationale Vortrags- und Seminartätigkeit; diverse Publikationen zu Fragen der Medizin, Pädagogik, Erziehung, u.a. Mitautorin der bekannten Erziehungsratgeber «Kindersprechstunde» und «Elternsprechstunde»; mit der Biografiearbeit auf Grundlage der Anthroposophie seit deren Initiierung in den 1980er-Jahren durch den Psychiater Bernard C. Lievegoed verbunden.
„Biografiearbeit als ein Schlüssel zu einem neuen Selbstverständnis“. Wenn man diesen Titel des Vortrages bedenkt, kann man das Wort „neu“ irritierend finden: Wieso müssen wir unser Selbstverständnis in ein altes und ein neues gliedern?
Wenn wir unsere menschliche Lebenszeit, die heute ungefähr 80 Jahre dauert, vergleichen mit der Lebenszeit von Tieren und Pflanzen, können wir einen deutlichen Unterschied beobachten. Die Lebenszeit bei Tieren und Pflanzen ist von der Natur wunderbar geregelt, d. h. wer nicht lebensfähig ist, geht in den Kreislauf der Natur zurück. Da gibt es keine Geburtshilfen oder Kliniken, keine erzieherischen und entwicklungsfördernden Maßnahmen; es gibt nur die natürliche Zuwendung der Muttertiere zu den Jungen. Alles ist großartig vom Instinkt her gesteuert. Und wenn keine Katastrophen oder andere Eingriffe passieren, haben die verschiedenen Arten eine für sie typische Lebenszeit. Tieren sterben in der Regel, wenn sie sich nicht mehr ernähren können, oder sie werden gefressen, weil sie in der Nahrungskette für andere Lebenswesen Futter sind.
Unser Immunsystem ist ein Instrument, mit welchem unser Ich die leiblich-seelische Individualität ständig schützt und gegen alles Fremde verteidigt. Man könnte auch sagen: Das Ich erkennt alles Nicht-Ich. Wie funktioniert diese Abwehr? Wie wird sie im Laufe des Lebens gebildet? Was schwächt sie? Und besonders bei der Pandemie stellt sich die Frage: Kann der Mensch in seiner Ichheit so ausreichend präsent und wach sein, um sich dadurch vor dem Corona-Virus zu schützen?
Interviewpartner: Prof. Dr. med. Volker Fintelmann, geboren 1935, studierte Medizin, promovierte 1961 in Hamburg und spezialisierte sich in Gastroenterologie. Im Krankenhaus Rissen war er als Leitender Arzt tätig und für zehn Jahre dessen Ärztlicher Direktor. Sein Anliegen ist die praktische und wissenschaftliche Ausarbeitung einer Anthroposophischen Medizin auf Grundlage der naturwissenschaftlichen Medizin. Er ist Autor zahlreicher Bücher und als Vortragsredner zu medizinischen und menschenkundlichen Themen tätig.
Christine Pflug: Was ist das Immunsystem und welche Aufgabe hat es?
Prof. Dr. Volker Fintelmann: Das Immunsystem ist eine der genialsten Organisationen, die wir leiblich-seelisch haben, weil sie alles vereinigt, was dazu dient, unsere Individualität vor allem zu schützen, was nicht unmittelbar zu ihr gehört. Jeder Mensch hat eine einzigartige Immunität; ein schwedischer Immunologe sagte, er kenne von dem Immunsystem des Menschen keine Kopie. Das Immunsystem ist etwas von dem Individuellsten, was der Mensch in sich trägt. Es stellt sich immer nur die eine große Aufgabe: Ich, dieser Mensch, mein Leib und meine Seele wollen uns gegenüber allem abgrenzen und nur wir ganz selbst sein. Weiterlesen „Sei du selbst! Spirituelle Immunologie und Covid-19“
mit Roswitha Willmann und Annette Willand vom Bernard Lievegoed Institut
„Gewalt“, „Gewaltprävention“ und „Kinderschutz“ sind Themen, die in Einrichtungen wie Kindergärten, Schulen und Heimen zunehmend bewegt werden. Das Bernard Lievegoed Institut beschäftigt sich seit vielen Jahren innerhalb der Elternberatung und Diagnostik, in Weiterbildungen und Kollegiumsfortbildungen für Pädagogen und Sozialtherapeuten mit dieser Thematik.
Interviewpartnerinnen:
Roswitha Willmann ist Mitglied in der Fachstelle für Gewaltprävention von Anthropoi und Dozentin im Bernard Lievegoed Institut. Sie macht darüber hinaus Entwicklungsdiagnostik und -beratung für Schulkinder, Kindertherapie, Biografie- und Paarberatung, Rhythmische Massage, Mediation und Supervision.
Annette Willand ist Diplompsychologin und Dozentin im Bernard Lievegoed Institut. Außerdem macht sie dort Entwicklungsdiagnostik und -beratung für Babys, Krippen- und Kindergartenkinder, Kindertherapie, Embodiment-Concept sowie Psychologische Diagnostik und Gutachten.
Interview mit Frank Hörtreiter, Öffentlichkeitsbeauftragter der Christengemeinschaft
Queer, Transgender, Transsexualität – alles Begriffe, die in den letzten Jahren immer öfter auftauchen und zeigen, dass diese Themen in der Öffentlichkeit angekommen sind und immer mehr diskutiert werden. 2017 kam es durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zur Einführung eines dritten Geschlechts. Seit Anfang dieses Jahres muss auf allen behördlichen Formularen neben „männlich“ und „weiblich“ auch der Begriff „divers“ vermerkt werden. Hinter „divers“ verbergen sich vielfältige geschlechtliche Möglichkeiten, die biologischer und auch seelischer Natur sein können.
Bei der deutschen ZEIT-Vermächtnisstudie 2016 gaben von den 3.104 Befragten 3,3% an, „entweder ein anderes Geschlecht zu haben als bei ihrer Geburt zugewiesen oder sich schlicht nicht als weiblich oder männlich zu definieren. Das heißt: Knapp 2,5 Millionen Deutsche […]“. Tania Witte: Andersrum ist auch nicht besser: Willkommen im Mainstream. In: Zeit Online. 15. Juni 2017, abgerufen am 8. November 2019. In der ZEIT vom 20. Mai 2020 war in einem Artikel („Vom Recht, anders zu sein“) zu lesen, dass in „explodierenden Zahlen“ auch immer mehr Jugendliche mit ihrem Geschlecht nicht zurechtkommen. Sie lassen mit ärztlicher Behandlung eine Geschlechtsumwandlung durchführen. In Schweden stieg zwischen 2008 und 2018 die Zahl um 1.500 Prozent, in Deutschland ist der Trend ähnlich. Ein Thema, das auch bei Experten mehr Fragen als Antworten und kontroverse Positionen hervorruft.
Tritt mit dem Thema „Transidentität“ etwas in die Öffentlichkeit, was es immer schon gab, jetzt aber anerkannt wird und den Betreffenden eine neue Stimmigkeit in ihrem Körper und Leben verschafft?
Könnten es Anzeichen einer menschheitlichen Entwicklung sein, dass sich die Unterscheidung in zwei Geschlechter auflöst, wie Rudolf Steiner es für sehr zukünftige Zeiten beschrieben hat? Der Komponist Anton Webern, ein Schüler Schönbergs, sagte im letzten Jahrhundert: „Aus der Zweigeschlechtlichkeit ist ein Übergeschlecht entstanden.“ (Er sieht die Zwölftönigkeit als Fortführung der Dur-Moll-Tonalität, bei der Dur und Moll dem Männlichen und Weiblichen zugeordnet wird.) Beschleunigen sich heute Entwicklungen in einem Tempo, wie man es vor 100 Jahren nicht gedacht hätte?
Nächstes Jahr wird es von anthroposophischer Seite eine Fachtagung zu dem Thema geben „Mädchen, Junge, Divers? Das Geschlecht und seine Variationen“ (siehe am Ende des Interviews).
Wir haben es anscheinend mit einer kulturellen Entwicklung zu tun, die von uns verlangt, dass wir uns damit auseinandersetzen.
Interviewpartner: Frank Hörtreiter, geb. 1944, Studium der klassischen Philosophie und am Priesterseminar der Christengemeinschaft. Seit 1969 verheiratet, seit 1970 Priester, seit über 15 Jahren Öffentlichkeitsbeauftragter der Christengemeinschaft. Tätig als Pfarrer in Hamburg von 1970-1973 und 1996-2006, dazwischen 23 Jahre in Hannover und in Stuttgart und die letzten 14 Jahre wieder in Hannover; seit 5 Jahren emeritiert. Zurzeit schreibt er eine Studie Die Christengemeinschaft im Nationalsozialismus und ein Buch Geschichte der Christengemeinschaft. Seit ungefähr eineinhalb Jahren beschäftigt er sich mit dem Thema Transsexualität, seit ungefähr 25 Jahren mit gleichgeschlechtlicher Liebe.
Christine Pflug: Ich finde es interessant, dass Sie sich mit dem Thema gleichgeschlechtliche Liebe und Transsexualität nicht aus einer persönlichen Betroffenheit heraus beschäftigen (was abgesehen davon genauso gut wäre). Sie leben in einer „klassisch-konservativen“ Situation, sind seit über 50 Jahren mit derselben Ehefrau verheiratet, haben 4 Kinder, 8 Enkelkinder, wussten seit Jugendjahren, dass Sie Pfarrer werden wollen … Was ist Ihr Anliegen?
Interview mit Dr. med. Irene Stiltz und Thomas Klimpel, Anthroposophische Medizin (GAÄD)
„Nicht um eine Opposition gegen die mit den anerkannten wissenschaftlichen Methoden der Gegenwart arbeitende Medizin handelt es sich. … Allein wir fügen zu dem, was man mit den heute anerkannten wissenschaftlichen Methoden über den Menschen wissen kann, noch weitere Erkenntnisse hinzu, die durch andere Methoden gefunden werden und sehen uns daher gezwungen, aus dieser erweiterten Welt- und Menschenerkenntnis auch für eine Erweiterung der ärztlichen Kunst zu arbeiten.“
aus „Grundlegendes für eine Erweiterung der Heilkunst“ von Rudolf Steiner u. Ita Wegman
Heute wünschen sich die meisten Menschen eine Medizin, die wissenschaftlich und gleichzeitig ganzheitlich arbeitet. Seit 100 Jahren gibt es nun die Anthroposophische Medizin, und sie verbindet Schulmedizin und ergänzende Behandlungsformen. Der Mensch wird immer als Ganzes gesehen, mit Körper, Seele und Geist und daran orientiert sich die Diagnostik und Therapie. Krankheit hat einen Sinn für den betreffenden Menschen, und in der Heilung findet er zu einem neuen Gleichgewicht.
Interviewpartner: Dr. med. Irene Stiltz, niedergelassen seit 1996 als Allgemeinärztin mit Schwerpunkt Anthroposophische Medizin; war über 20 Jahre Schulärztin an der Bergedorfer Rudolf Steiner Schule, einige Zeit auch als Ärztin in der Sozialtherapie tätig. Mitarbeit in einem Team, das schwerkranke Patienten ambulant versorgt (Palliativmedizin). Im Zusammenhang damit entstand eine Mitarbeit in der Medizinischen Sektion in Dornach für Palliativmedizin; es wird dabei erarbeitet, was die Anthroposophische Medizin über die schulmedizinische Versorgung hinaus in der Palliativmedizin beitragen kann.
Thomas Klimpel, anthroposophischer Arzt, seit 2001 gemeinsam mit seiner Frau in einer Kassen-Hausarztpraxis in Hamburg niedergelassen. Facharzt-Ausbildung in der internistisch-anthroposophischen Abteilung im Krankenhaus Rissen. Seit 2000 auch ärztliche Versorgung von Erwachsenen mit Betreuungsbedarf in der sozialtherapeutischen Einrichtung Franziskus e.V.
Interview mit Dr. Ernst Schuberth, Mitbegründer der Freien Hochschule für anthroposophische Pädagogik in Mannheim
Dr. Ernst Schuberth
Mehr zu erfahren als das, was ich mit meinen Sinnen wahrnehmen kann – eigentlich ist das für jeden Menschen ein verstehbares und manchmal auch wünschenswertes Erlebnis. Einweihung war schon in alten Kulturen und auch heute ein Weg, durch gezielte Schulung das eigene Bewusstsein für übersinnliche Bereiche zu erweitern. Und, so betont Rudolf Steiner immer wieder, bei manchen Menschen geschieht diese Einweihung in ihrem alltäglichen Leben, weil Erfahrungen und Lebensverhältnisse ihnen besondere Kräfte abfordern.
Interview mit Lars Grünewald, Kulturwissenschaftler
Lars Grünewald
Soziale Dreigliederung – man könnte sie als das politische Konzept von Rudolf Steiner bezeichnen. Aber mitunter ist es so, dass Politik irgendwie „die Anderen“ und äußere Umstände sind. So stellt sich die Frage: Was kann man selbst machen, die Prinzipien der Sozialen Dreigliederung täglich im persönlichen Leben umzusetzen? Welche Fähigkeiten gilt es dafür zu entwickeln? Und letztlich geht es darum, wie man dadurch eine Grundlage für politische Veränderungen schaffen kann.
Interview mit Mona Doosry, Oberstufenlehrerin an der Rudolf Steiner Schule Hamburg-Wandsbek
Mona Doosry
Die heutige Jugend macht wieder von sich Reden. Hatte man vor ungefähr zehn bis zwanzig Jahren den Eindruck, soziales und politisches Engagement sei für sie bedeutungslos, zeigen die jungen Leute heute ganz andere Bestrebungen. Welche Beobachtungen kann man bei den letzten Jugend-Generationen machen? Wie wirkt sich die Digitalisierung aus? Wie ist das Verhältnis zwischen Jugendlichen und Gesellschaft? Vor welchen Herausforderungen stehen dabei der Unterricht und die Waldorfpädagogik?
Interview mit Roswitha Willmann und Annette Willand, Elternberatung
Roswitha WillmannAnnette Willand
Nicht nur unter Eltern, sondern auch unter (Waldorf-) Pädagogen gehören Lob und Tadel zum täglichen Umgang mit den Kindern: „So ist es prima!“, „Das hast du fein gemacht!“, „Du bist ja eine ganz Gescheite!“ einerseits, andererseits „Du weißt doch, dass man nicht haut!, „Kannst du nicht mal stillsitzen!?“, „Du bist doch schon so groß, da solltest du das aber besser können!“. Nützen Tadel nichts – gibt es Konsequenzen wie „Auszeiten“, Fernseh-verbot o.ä., die zum gewünschten Erfolg … führen? Führen sollen?
„Nur ein Unterricht, der die Formen und Inhalte kindlicher Welterkundung respektiert und zum Ausgangspunkt seiner pädagogischen Bemühungen werden lässt, gibt der Schule die nötige Rechtfertigung, Teil des Lebens der Kinder und Jugendlichen zu sein. Einseitige Belehrung macht unkenntlich, worum es eigentlich geht und entzieht den Kindern die Aufmerksamkeit dafür, worüber man sie unterrichten will.“
Martin Wagenschein, deutscher Physiker und Pädagoge
Schwingende Steine, tanzendes Wasser, geheimnisvoll tönende Röhren – besucht man Erich Bäuerles Installationen im Wendland, kommt man ins Staunen und Experimentieren. In einer großen Klangschale hüpft das Wasser tänzerisch in die Höhe, in einem Drehzylinder bildet der Sand blütenartige Muster, als Pendel aufgehängte Steine schwingen miteinander in geordneter Weise. Hinter allem stehen physikalische Gesetze. Es ist das Anliegen von Erich Bäuerle, die Menschen, vor allem die Kinder, zuerst mit Spaß und Lust ans Tun heranzuführen. Durch die sinnliche Erfahrung offenbaren sich dann die zugrunde liegenden Prinzipien.
Entwicklungen im Vorgeburtlichen und Nachtodlichen
Interview mit Helmut Eller, Vortragsredner und ehem. Waldorflehrer
Helmut Eller
Passiert etwas mit uns vor der Geburt und nach dem Tod? Es gibt Berichte von Eltern, die mit ihren zukünftigen Kindern, mitunter sogar bevor sich diese physisch angekündigt haben, Kontakt haben. Und wir kennen heute von vielen Berichten aus der Nahtodesforschung, dass die Betroffenen nach dem Tod immer wieder ähnliche Erlebnisse haben.
Wir sind also in einer anderen Weise existent und durchlaufen Stufen. Man lernt das vorige Erdenleben anzuschauen, bekommt Gesichtspunkte für ein neues und nach vielen Schritten wird ein nächstes vorbereitet.
Die digitale Revolution verbaut unseren Kindern die Zukunft
Artikel von Frau Gertraud Teuchert-Noodt, Professorin emer. für Neurobiologie
Gertraud Teuchert-Noodt
Allzu verständlich sind die Ängste der Eltern, die ihre Kinder chancenlos in der digitalen Welt glauben, wenn die nicht schon im Kindergartenalter Apps programmieren. Doch ganz selten nur beginnt der Bauherr seinen Hausbau mit dem Dach. Warum nur glauben so viele kluge Pädagogen, die kindliche Entwicklung könne beschleunigt werden, indem man deren Fundament einfach weglässt? Mit den Grundsätzen der Evolution erklären Neurobiologen anschaulich, warum Eltern und Lehrer sich vehement gegen frühkindliche Nutzung von Bildschirm-Medien wehren sollten – damit es nicht zu Sucht, Lernstörungen, Aggressivität oder autistischen Störungen bei den Kleinen kommt.
Interview zur Schüler-Mediation mit zwei Schülerinnen und zwei Ausbilderinnen
Schule ist ein wichtiger Teil der Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen. Und wie in allen sozialen Zusammenhängen gibt es dort Konflikte und Interessengegensätze. Wenn die Schüler erlernen, diese selbst zu bewältigen, stärkt das ihre Empathie, Toleranz, Selbstwahrnehmung und Kritikfähigkeit.
Mediation – vermitteln in Konflikten – wurde im schulischen Bereich in Deutschland seit Mitte der 90iger Jahre erfolgreich eingeführt und ist auch unter Peer-Mediation oder Streitschlichtung bekannt. Weiterlesen „Schüler lösen ihre Konflikte“
Interview mit Henning Kullak-Ublick, Vorstand und Sprecher Bund der Freien Waldorfschulen
Henning Kullak-Ublick
In zweieinhalb Jahren wird „die Waldorfschule“ 100 Jahre jung! Heute ist diese Pädagogik mit rund 1.100 Waldorfschulen und fast 2.000 Waldorfkindergärten in über 80 Ländern ein weltweiter pädagogischer Impuls. Und es werden nach wie vor mehr! Das anstehende 100-jährige Jubiläum bietet die Chance, den pädagogischen Impuls Rudolf Steiners in einem globalen Austausch weiter zu entwickeln. In welcher Welt werden die Schulkinder leben, wenn sie erwachsen sind? Und wie können wir sie darauf vorbereiten? Wie wird die Waldorfpädagogik heute praktisch umgesetzt, damit sie den Anforderungen der Zeit begegnen kann?
Von jetzt an ziehen sich gemeinschaftsbildende Aktionen über die nächsten Jahre bis September 2019. Alle Aktionen folgen dem gemeinsamen Motto „Waldorf100 – Learn to change the world“. Weiterlesen „„Waldorf100 – Learn to change the world“ Teil I und II“
Interview mit Peter Benkhofer, ehem. Lehrer und Jörgen Day, Pfarrer emer.
Peter BenkhoferJörgen Day
Die Flüchtlinge, die aus großer Not zu uns kommen, brauchen unsere Hilfe. Von vielen Menschen wird ehrenamtlich Flüchtlingsarbeit gemacht, auch im Rahmen der Christengemeinschaft und Anthroposophie. Wie man in schwierigen, dramatischen Lebenslagen Beistand leisten kann, als ganze Gruppe oder Einzelperson, berichten Peter Benkhofer und Jörgen Day. Weiterlesen „Flüchtlingsarbeit“
Braucht man ein Kind nicht in die Schule zu schicken, wenn man darauf vertraut, dass sich die Entwicklung des Kindes von allein vollzieht? Werden in der Bildungslandschaft, bei uns in der Folge der Pisa-Studien, die Kinder so in eine Richtung gezogen, dass sie sich lediglich den Erfordernissen der Gesellschaft anpassen?
Arno Stern lässt seit 70 Jahren Kinder in seinem „Malort“ malen. Seine Mission ist das Vertrauen in die Entwicklung des Kindes: Man muss nicht von außen „ziehen“, sondern darf sicher sein, wenn man für das Kind einen Raum schafft, dass die Entwicklung von alleine passiert, und zwar durch einen kreativen Prozess. Aus diesem unendlichen Vertrauen in diese Entwicklung hat Arno Stern seinen Sohn André nicht in die Schule geschickt. Heute ist André Stern als Freibildungsexperte ein gefragter Referent, der sich international an der Seite von zukunftsorientierten Akteuren der Bildungslandschaft bewegt. Weiterlesen „Lernen und Leben aus Begeisterung“
Das Jugendhilfe-Projekt RUNAYAY in Lima/ Peru wurde 2007 mit dem Ziel gegründet, benachteiligte Jugendliche in ihrer ganzheitlichen Entwicklung zu fördern und sie auf ein selbständiges Leben in Würde vorzubereiten.
Im Mai und Juni hat die Hamburger Ärztin Dr. Carola Flurschütz, die seit 2012 als Psychotherapeutin in Runayay mitarbeitet, das Projekt in der Michaels-Kirche und in der Lukas-Kirche in Hamburg vorgestellt. Weiterlesen „… ihrem Leben eine positive Wendung geben“
Interview mit Harry Lohse, Pfarrer und ehem. Heilpädagoge
Harry Lohse
„Ein Sinn ist dasjenige, was eine Erkenntnis vermittelt ohne Mitwirkung des Verstandes.“ (Rudolf Steiner)
Durch die Sinne erleben wir verschiedene Facetten der Welt. Indem wir sehen, riechen, hören, schmecken, tasten, nehmen wir die Außenwelt wahr. Aber um das auf ungestörte Weise zu können, muss der Mensch in seiner Leiblichkeit ebenfalls Sinne entwickelt haben, z. B. hat er durch seinen „Lebenssinn“ ein Gefühl von Wohlbefinden und Vitalität, mit dem „Eigenbewegungssinn“ kann er sich im Raum orientieren etc.
Wenn der Mensch in diesen Bereichen ein gesundes Selbstgefühl gebildet hat, kann er sich auch für Erlebnisse und Erfahrungen anderer Menschen öffnen: beispielsweise versteht er mit dem „Gedankensinn“ ihre Gedanken, mit dem „Ichsinn“ ihr Wesen.
So kann man von 12 Sinnesbereichen sprechen, die die Wahrnehmung für sich selbst, für Gefühle und Geistiges eröffnen. Weiterlesen „Die 12 Sinne“
„Sollten nicht endlich uns diese ältesten Schmerzen fruchtbarer werden?“ (Rilke Duineser Elegien)
Martin Straube, geb. 1955, anthroposophischer Arzt in Fischerhude und in Hamburg (Institut Diogenes). Mitarbeiter der Carus-Akademie. Vorstand in der Thylmann-Gesellschaft und zuständig für die Patientenakademie. Seit vielen Jahren Referent in der Fort- und Weiterbildung für Ärzte, Apotheker, Heilpraktiker und Kunsttherapeuten. Autor von Büchern und zahlreichen Aufsätzen. Vortragsredner in Hamburg. Weiterlesen „Das Trauma I und II“
Interview mit Dr. med. Susanne Bischoff, Kinderärztin
Dr. med. Susanne Bischoff
„Eltern sind manchmal einsam. Der Alltag mit komplexen Anforderungen führt oft zu Grenz- und Überforderungssituationen. Man fühlt unbewusst den Anspruch, möglichst perfekt zu sein und möchte alles so gut wie nur möglich machen. Dies führt zu einem Leistungsdruck und damit zu noch mehr Stress. Aber kein Kind will perfekte Eltern oder vollkommene Bedingungen haben. Wenn wir uns das bewusst machen, können wir uns selbst in unserer Unvollkommenheit akzeptieren und gemeinsam die Liebe leben.“ Weiterlesen „Jede Erziehung ist Selbsterziehung“
Interview mit Jos Meereboer, Dozent für Heilpädagogik
Jos Meereboer
Als merkwürdige Einzelgänger, teilweise hochintelligent und im sozialen Kontakt schwer zugänglich – so stellen wir uns im Allgemeinen Autisten vor.
Was erleben Autisten aber wirklich? Woher kommt ihre Angst im Sozialen? Was bedeutet es, in dem eigenen Leib nicht wirklich „drin zu sein“ und den eigenen Willen nicht ergreifen zu können, andererseits aber alles wahrzunehmen, was andere Menschen denken? Und was hat der Autismus mit unserer heutigen Informationsgesellschaft zu tun? Weiterlesen „Leben mit Autismus“
Notfallpädagogik in Kriegs- und Katastrophenregionen
Interview mit Bernd Ruf
Bernd Ruf in Kenia
Täglich werden Millionen von Kindern und Jugendlichen Opfer von Gewalt, Misshandlungen, Krieg, Vertreibung oder Naturkatastrophen. Was sie erleben, ist nahezu unbeschreiblich. Fast alle werden mit ihren Erfahrungen und Erinnerungen alleine gelassen. Wie können diese Wunden heilen?
Notfallpädagogik versucht traumatisierten Kindern in Kriegs- und Katastrophengebieten mit Methoden der Waldorfpädagogik bei der Verarbeitung ihrer traumatischen Erlebnisse zu helfen, damit sie nicht für ihr weiteres Leben schwere Störungen erleiden und wieder selbst zu Tätern werden. Weiterlesen „Erste Hilfe für die Seele“
Eugen Riesterer bei der Einschulung der ersten Klasse in der Rudolf Steiner Schule WandsbekLars Grünewald
Wie kann unsere Gesellschaft durch die Impulse der jungen Generation erneuert werden? Bislang ist es so, dass der Staat das Schulleben und die Bildung verordnet. Damit aber bestimmt immer ein Gewordenes über das Werdende. Mit Begriffen aus der Vergangenheit wird das Zukünftige festgelegt, und damit ist eine Entwicklung eigentlich nicht mehr möglich. Als Erzieher muss man aber Kindern gegenüber so offen sein, dass sie das ganz Neue und Unbekannte, was sie mitbringen, entfalten können. „Dann wird es möglich sein, der sozialen Ordnung immer neue Kräfte aus der heranwachsenden Generation zuzuführen“ – so Rudolf Steiner. Weiterlesen „Auf das Neue eingehen lernen“
bei Kindern, japanischen Friseuren, Rechtsanwälten, Biochemikern …
Interview mit Helmut Eller, Waldorfpädagoge
Helmut Eller
Jeder Mensch trägt alle vier Temperamente in sich. Einige auffallende Eigenschaften kann man relativ schnell finden, aber es dauert länger, bis man auch die verborgenen Seiten entdeckt. Lernt man die Temperamente zu sehen und mit ihnen umzugehen, ist das lebenspraktisch von hohem Nutzen.
Der ehemalige Waldorflehrer Helmut Eller vermittelt auf seine humorvolle und unkonventionelle Weise seit Jahrzehnten die Lehre der Temperamente. Weiterlesen „Die 4 Temperamente“
Vielen Erwachsenen ist nicht klar, dass Kinder und Jugendliche heute in einer virtuellen Parallelwelt leben. Mit Plattformen wie Facebook oder SchülerVZ bilden sie soziale Netzwerke, in denen sie sich darstellen, austauschen, Fotos aller Arten veröffentlichen, aber sich auch schlecht machen und mobben. Durch dieses Nicht-Wissen der Erwachsenen ist eine Lücke zwischen den Generationen entstanden, gegen die wir ankämpfen müssen!
Das Internet bietet immense Möglichkeiten, aber es bedarf einer Reihe von Kompetenzen, um damit sinnvoll umgehen zu können. Insofern endet heute die Erziehungspflicht nicht in der realen Welt, sonder geht weiter in der virtuellen Welt. Weiterlesen „Kids und Internet“
Interview mit Hellmut Hannesen, Gründer von Roshni, und Matthias Thamm, Volunteer
Hellmut Hannesen und Shahida Perveen-Hannesen
Vor 10 Jahren gründete der Hamburger Rechtsanwalt und seine pakistanische Frau Shahida das Roshni Projekt, eine Gemeinschaft mit behinderten Menschen, Waldorfschule und biologischer Landwirtschaft.
In Roshni werden gegenwärtig 40 Menschen mit Behinderungen betreut. Es gibt Werkstätten für Holz und Textil und eine Biobäckerei. Zehn Betreute leben in einem ersten Gemeinschaftshaus. Zurzeit werden eine Schule und ein Kindergarten mit bisher 140 Kindern aufgebaut. Die Arbeit in Roshni ist von Rudolf Steiners Ideen der Anthroposophie und Waldorfpädagogik inspiriert.
So ist das Motto von Roshni die Begegnung von Ost und West. Und inmitten einem Land, wo Koran-Schulen die Kinder zum Fundamentalismus erziehen, die Taliban ihre Ausbildungslager haben, Korruption zum Alltag gehört, ist Roshni zu so etwas wie einer kulturellen Insel geworden.
Interviewpartner:
Hellmut Hannesen lebte in Hamburg bis Ende 1990, arbeitete dort als Rechtsanwalt im Mittelweg 147 und war im Vorstand der Treuhandstelle. Ab 1991 war er Geschäftsführer für den Verband für anthroposophische Heilpädagogik in Bingenheim. 1994 heiratete er seine pakistanische Frau Shahida, mit der er dann 2001 nach Pakistan zog.
Matthias Thamm wurde in Bremen geboren und ging dort auf die Waldorfschule. Direkt nach dem Abitur 2007 ging er nach Pakistan. Dort unterrichtete er 6 Monate lang in der Roshni-Schule als Fachlehrer für Englisch, Sport und Musik. Nachmittags leitete er für die Behinderten Aktivitäten jeglicher Art an. Dadurch kam er in Kontakt mit den Kindern der Bevölkerung und mit armen Familien der Unterschicht. Jetzt ist er Auszubildender in der Gesundheits- und Krankenpflege in den Regio-Kliniken in Schleswig-Holstein und strebt ein Medizin-Studium an.
C. P.: Hellmut, du bist der Gründer von Roshni. Wie kam es zu diesem Entschluss?
H. Hannesen: Als wir 1994 geheiratet hatten, war dies ein bewusster Entschluss zu einer Ost-West-Ehe. Wir hatten sehr bald Pläne, in Pakistan ein anthroposophisches Projekt zu begründen, weil es ein Jugendtraum von Shahida war, in ihrer Heimat einmal eine Schule aufzubauen. Dazu hatte sie schon die Waldorflehrerausbildung in Witten-Annen gemacht und einige Jahre in Deutschland gearbeitet. 1998 gründeten wir den Roshni e.V. und bereiteten den Umzug und die Projektgründung in Pakistan vor. Auf mehreren Reisen nach Pakistan gewannen wir den Eindruck, dass es am besten sei, mit der Behinderten-Arbeit anzufangen. Im Hintergrund stand, dass wir eines Tages auch eine Waldorfschule eröffnen würden.
Wir fingen 2001 in gemieteten Räumen an. Als wir für die Sozialtherapie neu gebaut hatten, gab uns bei der Gelegenheit der Nachbar ein Grundstück und Gebäude, wo wir mit der Schule anfangen konnten. Das war im Jahr 2005.
Seit der Zeit ist Roshni partiell eine Lebensgemeinschaft geworden und zur anderen Hälfte ein Tagesbetrieb. Jetzt wird gerade eine zweite Wohngemeinschaft gebaut, mit Hilfe von den „Freunde der Erziehungskunst Rudolf Steiners e.V.“ (Verbund für Waldorfpädagogik weltweit, Anm. d. Red.) und dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit, so dass wir den Lebensgemeinschaftsansatz ausweiten und den Tagesbetrieb etwas reduzieren.
Wir haben in Roshni drei Schwerpunkte: Sozialtherapie, Waldorfschule und organic farming, also Bio-Landwirtschaft. Die Landwirtschaft entwickelt sich jetzt auch stärker, weil zwei gute Leute in dem Bereich tätig sind, ein Deutscher und ein Pakistaner.
es ist in dem kommerziellen pakistanischen Schulsystem sehr schwierig, eine Waldorfinitiative zu starten
C. P.: Seid Ihr die erste anthroposophische Einrichtung in Pakistan?
H. Hannesen: Im Prinzip ja. Es gab in der Stadt eine zweite Kindergarteninitiative. Aber die haben nach einiger Zeit die Segel gestrichen, weil es in dem kommerziellen pakistanischen Schulsystem sehr schwierig ist, eine Waldorfinitiative zu starten.
C. P.: Was wird in Pakistan sonst für behinderte Menschen angeboten? Wie geht man normalerweise mit ihnen um?
H. Hannesen: Wir haben in Roshni mit Eltern zu tun, die von vornherein sehr bemüht sind, und sie kümmern sich sehr gut um ihre behinderten Angehörigen. Aber sie sind nur ein kleiner Teil der Bevölkerung. In der Stadt Lahore mit 7 Millionen Einwohnern gibt es nur eine kleine Zahl von Einrichtungen, und ein großer Teil der behinderten Menschen findet keine Einrichtung. Beispielsweise gibt es keine in der Nähe des Wohnorts, und die Eltern kümmern sich nicht um Weiteres; die Behinderten sind dann zuhause oder hängen auf der Straße herum. Aber man kann nicht generell sagen, dass die Behinderten verwahrlost sind. Die Menschen haben einen ausgeprägten Familiensinn, und die Großfamilie kümmert sich um ihre Mitglieder; wenn eine Frau verwitwet ist, einer keine Arbeit hat o.ä., wird für ihn gesorgt. Das ist dort ein ungeschriebenes Gesetz. Es wird von staatlicher Seite auch keine Versorgung gewährleistet, die Menschen sind auf die Familie angewiesen.
C. P.: Warum wird dann eine Einrichtung wie die Eure überhaupt gebraucht?
… man sollte ihnen auch Lebensqualität geben
H. Hannesen: Man tut zuhause nichts für die behinderten Menschen. Sie leben zwar dort, aber es gibt für sie keine Aktivitäten, sie hängen quasi herum, sitzen vor dem Fernseher etc. Es reicht ja nicht, dass sie nur verwahrt werden, man sollte ihnen auch Lebensqualität geben. Und dafür stehen wir.
C. P.: Seid Ihr dort als deutsche Einrichtung bekannt?
H. Hannesen: Wir sind nicht, wie z. B. Ärzte ohne Grenzen, als eine ausländische Initiative bekannt. Man kennt uns als eine von mehreren privaten Initiativen, die auf Vereinsbasis laufen. Die Leute wissen, dass einige Deutsche dabei sind, aber die Initiative ist eine lokale; es sind Pakistaner, die ans Telefon gehen, die Behinderten betreuen und 90% der Arbeit machen. Außer mir, dem Landwirt und zeitweilig einigen Freiwilligen aus Deutschland sind die eigentlichen Mitarbeiter alles Pakistaner – vor allem die Lehrer.
Wir sind eine lokale Initiative, die Förderung aus dem Ausland bekommt.
C. P.: Haben die Mitarbeiter eine Waldorfausbildung gemacht?
H. Hannesen: Sie sind von uns angelernt worden und ab und zu kommen Dozenten.
Matthias Thamm: An Wochenenden zeigte ich den Lehrern meine Epochenhefte aus der Unterstufe. Wir haben zusammen Socken gestrickt und unter meiner Anleitung die ersten Töne auf der C-Flöte gelernt. Des Weiteren haben wir Lieder und Gedichte auf Englisch für den rhythmischen Teil erarbeitet und zusammen gekocht. Die Leitung dabei hatte Shahida Perveen-Hannesen.
die Sicherheitslage in Anbetracht der Ausbildungslager der Taliban
C. P.: Wie geht es Euch denn in Anbetracht der Tatsache, dass die Taliban im Nordwesten ihre Ausbildungslager haben, es Selbstmordattentate gab etc.? Wie ist bei Euch die Sicherheitslage? Erfahrt Ihr über die Presse die gleichen Informationen wie wir in Deutschland?
H. Hannesen: Die Presse ist frei; Fernsehen und Zeitung berichten täglich über diese Ereignisse und berichten auch offen und freimütig über die politischen Verhältnisse. Man zieht zwar aus diesen Berichten der Presse keine Konsequenzen, aber immerhin steht sie nicht unter Zensur. Das alles ändert aber beispielsweise nichts an der Korruption in Pakistan.
Ansonsten kommt es darauf an, in welcher Region man lebt. In Punjab und speziell in Lahore ist es verhältnismäßig ruhig. Es sind einige Zwischenfälle passiert, aber in großen zeitlichen Abständen, so dass man nicht in einer ständigen Unruhe wegen Attentaten leben muss.
Ich denke, dass die Bewohner in Karachi und Islamabad wegen der Vielzahl der Attentate in größerer Anspannung sind als in unserer Gegend.
in Karachi herrschte großes Chaos
M. Thamm: Im Dezember 2007 wurde Benazir Bhutto, die damalige Oppositionsführerin der Demokratischen Partei, während einer öffentlichen Kundgebung in Rawalpindi erschossen. Ich saß gerade mit fünf anderen Deutschen in einem Zug Richtung Karachi, um dort ein Leprakrankenhaus, das von einer katholischen Nonne (Ruth Pfau) gegründet wurde, zu besuchen. Ganz Karachi war außer sich, weil das die Heimatstadt und der Familiensitz von Benazir Bhutto war. Ich erinnere mich noch genau, wie Shahida sehr aufgeregt mit uns telefonierte, weil sie um unsere Sicherheit besorgt war. In Karachi herrschte großes Chaos, es waren Autos angezündet worden, Geschäfte wurden zerstört, Züge angehalten. Das erfuhren wir aber erst am nächsten Tag aus der Presse.
H. Hannessen: Wir hatten dafür gesorgt, dass Ihr noch in derselben Nacht abgeholt wurdet.
M. Thamm: Ein Freund des benachbarten pensionierten Generals hatte einen Krankenwagen, und damit wurden wir auf halber Strecke von dem Bahnhof, wo wir aussteigen sollten, an einen sicheren Ort gebracht. Es war der Nachtwächter von Roshni dabei, er hatte sogar ein altes Gewehr. Kurz nachdem wir fort waren, wurde der Notstand ausgerufen.
Das war für mich die aufregendste sicherheitspolitische Situation in Pakistan.
C. P.: Wie stehen die Pakistaner zu den Deutschen?
M. Thamm: Wenn man mit manchen Pakistanern langsam ins Gespräch kommt, was in Englisch geschieht, und sie dann mitbekommen, dass man aus Deutschland stammt, strahlen sie über das ganze Gesicht. Der erwähnte Wachmann von Roshni zum Beispiel nannte mir dafür drei Gründe. Er stammt aus dem Grenzgebiet zwischen Afghanistan und Pakistan, zählt als Paschtune zu den konservativen Pakistanern und sympathisiert mit Deutschland wegen der nationalsozialistischen Vergangenheit. Er findet es gut, dass das Hitlerregime damals England sehr geschwächt hat, welches seiner Meinung nach deshalb die Kolonie nicht mehr halten konnte, bzw. Pakistan dadurch eine selbständige Republik wurde. Weil er auch mit den Arabern sympathisiert, tritt für ihn aufgrund der Nahostproblematik der Antisemitismus der Nazizeit in den Vordergrund. Der dritte Grund ist, dass das Militär in Pakistan eine große Macht hat, die allerdings stark über die USA dominiert wird, und er lobt die straff organisierte und diktatorische Macht des Militärs in der Nazizeit. Er erlebt in seinem Land ein totales Chaos und glaubt, wenn man alles hierarchisch gliedern würde, hätte alles seine Ordnung und würde seinen richtigen Gang gehen.
C. P.: Dann sind sie aber sehr einseitig informiert und haben auch die Entwicklung der letzten 60 bis 70 Jahre wenig zur Kenntnis genommen!
M. Thamm: Das ist richtig, und sie kommen zu solchen Einstellungen aufgrund ihrer geringen Bildung. Die Macht geht in der Tat von dem pakistanischen Militär aus, es käme aber niemand auf die Idee, diesen Männern zu vertrauen, weil sie nicht sehr verantwortlich mit Ihrer Macht umgehen. Korruption und Machtmissbrauch für private Zwecke sind an der Tagesordnung, was zu dem Chaos führt, welches jeder Pakistaner erlebt. Die Menschen, die Geld haben, schicken ihre Kinder, damit diese sich später besser behaupten können, meistens auf ausländische Schulen, zum Studieren sogar nach London oder in die USA. Insofern hat die „Upper Class“ wenig Kontakt zu der einfachen Bevölkerung. Sie sprechen sogar nicht mehr die Landessprache, weil sie mit Englisch aufwachsen, und verkehren auch nur in diesen gehobenen Kreisen. Eine Mittelschicht, welche eine Demokratie tragen könnte, gibt es nur ansatzweise in den großen Städten. Auf der anderen Seite gibt es diese riesige Menge Pakistaner, 160 Millionen, die an dem High Society Leben keinen Anteil haben und auf ihre ganz primitive Art leben. Sie sind überwiegend Analphabeten, unterschreiben mit dem Daumenabdruck und haben ganz wenig Schulbildung oder Ausbildung.
C. P.: Wie viel Prozent der Bevölkerung machen diese einfachen Leute aus?
H. Hannesen: Vielleicht 70 Prozent sind Analphabeten. Gerade auf dem Land wohnt der Teil der Bevölkerung, die nicht lesen und schreiben können.
M. Thamm: Das wird insofern zum Problem, da dann auf dem Land jemand sagen kann: Jetzt mache ich hier meinen eigenen Staat, und was die Regierung in Islamabad sagt, ist mir egal.
Landbesitzer, die wie Feudalherren herrschen
H. Hannesen: Es gibt Landbesitzer, die in ihrem Bereich mit Hilfe ihrer Wächter quasi als kleine Militärmacht regieren. Das ist dann gewissermaßen ein Feudalsystem: Sie lassen das Land von Pächtern bewirtschaften, die ihnen einen großen Teil der Ernte abliefern müssen; und wenn einer dann aufmuckt, wird er bestraft. Sie üben eine eigene Gerichtsbarkeit aus und herrschen in ihrem Gebiet. Die allgemeine Staatsform kann da wenig durchgreifen. Es gibt zwar eine Polizei, aber diese „Feudalherren“ sind mächtiger. Diese Situation von „Law and order“ ist ein sehr großes Problem in Pakistan. Wenn etwas passiert, überlegt man sich dreimal, ob man zur Polizei geht, denn es kann gut sein, dass diese Beamten mit den Verbrechern unter einer Decke stecken, etwas von dem Diebstahl abkriegen oder sonst wie geschmiert werden. Korruption gehört zur Tagesordnung. Es kann sich die eigene Lage sogar noch verschlechtern, wenn man bei der Polizei gewesen ist.
C. P.: Seid Ihr dann so etwas wie eine kulturelle Insel?
H. Hannesen: Das sind wir sicherlich. Wir versuchen innerhalb dieses Klimas einen Raum zu schaffen, in dem man menschlich miteinander umgeht, andere Werte hat, und Freiheit ist ein wichtiges Ideal, wobei ich nicht behaupten will, dass wir keine Probleme haben. Wir sind wir aber für viele, die uns besuchen und die auch das Klima in der Schule wahrnehmen, etwas Besonderes.
M. Thamm: Die Schule erhebt von den armen Familien kein Schulgeld, so dass jeder die Möglichkeit hat, sein Kind dort hin zu schicken.
Schulen, die zum Fundamentalismus erziehen
H. Hannesen: Für diese Bedingungen ist es eine qualitativ gute Schule. Es gibt auch andere kostenlose Schulen, aber die haben nicht diesen Standard. Es gibt „Madressahs“, das sind von islamischen Gruppen betriebene Schulen, in denen das Koran-Lernen im Vordergrund steht. Der Schwerpunkt dieser Schulen besteht in der religiösen Erziehung. Manche sind nicht ganz so schlimm, aber tendenziell führen sie zu einem Fundamentalismus.
C. P.: Man hört über diese Länder, dass die Eltern ihre Kinder lieber in solch eine Koran-Schule schicken, als dass sie gar nicht lesen und schreiben lernen.
H. Hannesen: Das ist tatsächlich so. Diese Madressah-Schulen werden manchmal als Internat betrieben, und gerade kinderreiche Familien schicken ihre Kinder dort hin, weil sie sie nicht selbst ernähren können.
C. P.: Was sind Eure nächsten Vorhaben und Anliegen?
H. Hannesen: Am wichtigsten ist der kontinuierliche, weitere Ausbau der Schule, die jetzt sechs Klassen hat, auf acht Klassen, so dass ein Abschluss erteilt werden kann. In der Sozialtherapie werden wir jetzt die zweite Wohngruppe belegen und dadurch unseren Charakter als Lebensgemeinschaft verstärken.
Weiter war uns von Anfang an wichtig, auf irgendeine Weise auf die Umwelt zu achten. Ganz am Anfang war eine unserer Werkstätten eine Bio-Bäckerei; einer unserer Mitarbeiter, ein deutscher Heilpädagoge, hatte Bäcker gelernt. Das Backen von Brot ist für die Betreuten eine sinnvolle Arbeit, die auch von der Öffentlichkeit anerkannt wird.
Das Grundstück, das wir 1999 gekauft hatten, betrieben wir als biologischen Garten. Bei unserem Umzug in 2005 haben wir die Gärtnerei intensiviert, indem wir uns noch mehr Hilfe auf diesem Gebiet holten. 2009 kam ein ausgebildeter Landwirt, Alexander Kühne, zu uns, der schon als Student zu Forschungen in Pakistan war. Er hatte sich entschlossen, nach seinem Examen seinen Berufsanfang bei uns in Roshni zu beginnen. Wir versuchen jetzt, mehr Land zu bekommen, um diesen Bereich auszuweiten. Gleichzeitig haben wir ein Projekt für Kompostherstellung begonnen, weil für diese Tätigkeit ein qualifizierter Pakistaner zu uns kam. Das hat sich ebenfalls gut entwickelt, weil der Kompost von Bauern und Gärtnern gebraucht wird.
C. P.: Seid Ihr in Bezug auf Umweltschutz und Ökologie auch Vorreiter?
H. Hannesen: Wir versuchen das voranzutreiben, weil diese Themen hier noch sehr unterentwickelt sind. Es gibt hier keine Bio-Produkte zu kaufen, außer unserem Brot. Wir sind mit einem staatlichen Institut in Kontakt, das sich auf diesem Gebiet engagiert, und wir versuchen gemeinsam, diese Themen in der Öffentlichkeit publik zu machen.
M. Thamm: Hier sind MacDonalds, Coca-Cola etc. populär; die Straßengraben liegen voller Plastiktüten. Insofern ist die biologisch-dynamische Landwirtschaft für das Bewusstsein der Menschen wichtig.
ambivalent gegenüber amerikanischen Werten
C. P.: Sind die Pakistaner in ihren Werten an Amerika orientiert?
H. Hannesen: Das ist sehr widersprüchlich. Es besteht einerseits eine starke Antipathie gegen Amerika, de facto aber auch eine Sympathie für Coca Cola und andere Attribute, mit denen der amerikanische Lebensstil nachgeahmt wird. Diese Ambivalenz lebt oft in denselben Menschen; die Schickeria, die die Jeans tragen, schimpfen gleichzeitig auf die Amerikaner, aber auch arme Leute sind bemüht einem Gast eine Cola anzubieten.
Brücken zwischen Ost und West
M.Thamm: Daher ist eine Organisation, welche kulturell auf verschiedenen Gebieten eine Brücke herstellen kann zwischen Ost und West, so wesentlich.
C. P.: Wenn man Euch unterstützen möchte: Was kann man tun?
H.Hannesen: Im Augenblick werben wir nicht sehr für Freiwillige, da man sich nicht so frei bewegen kann und die Situation angespannt ist. Wer sich gewisse Einschränkungen zutraut, ist aber trotzdem willkommen. Ansonsten brauchen wir dringend regelmäßige Spenden, beispielsweise einfach jeden Monat einen kleinen Betrag. Wir arbeiten recht kostengünstig, mit einem Jahresetat von ca. 120,000 Euro umgerechnet machen wir diese ganze Arbeit in Schule und Sozialtherapie, also gerade mal ein unteres Managergehalt. Trotzdem ist es sehr schwer, diesen Betrag zusammenzukriegen. Deshalb hoffen wir auf mehr Paten für unser Projekt, die regelmäßig spenden, gerade aus Hamburg, wo ich mich etwa 15 Jahre am Mittelweg engagiert habe, um die Treuhandstelle und die GLS Filiale aufzubauen, und mich vielleicht noch manche Leute kennen. Ich freue mich auch über Fragen und Vorschläge an !
Spenden bitte an: Zukunftsstiftung Entwicklungshilfe
Konto 123 300 10, GLS Gemeinschaftsbank, BLZ 430 609 67
Verwendungszweck „Roshni Pakistan“. Die Spenden werden von dieser Stiftung ohne Abzug von Verwaltungskosten an Roshni weitergeleitet.
Vom Ausland: BIC: GENODEM 1 GLS – IBAN: DE05 430 609 67 0012 330 010
Roshni Association
Society for the Welfare of Special Persons
Registered with the Directorate of Social Welfare,
Reg. No. DDSW-LD/96-944
Karbath Soling, Bedian Road, Lahore Cantt.
Postadresse: P.O.Box 11073, D.H.A., Lahore/Pak.
Tel 009242 5601062, 5600909, , www.roshni.org.pk
Zusammenfassung eines Vortrages von Dr. med. Christoph Meinecke, Gemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe, Berlin
Christoph Meinecke
Sie können sich schlecht konzentrieren, können ihre Aufmerksamkeit nicht ausreichend fokussieren, können aus Fehlern nicht lernen, sind zappelig, können sich im sozialen Rahmen nicht adäquat verhalten, reden viel, stören einfach – dies alles sind Symptome von Kindern, die unter ADHS leiden – dem sog. Aufmerksamkeits-Defizit-/Hyperaktivitäts-Syndrom. Mit ihnen und wegen ihnen leiden Eltern und Pädagogen, die an die Grenzen ihrer Möglichkeiten und Fähigkeiten kommen. Ist das alles so, weil den Kindern ein Botenstoff (Transmitter) im Gehirn fehlt, den man durch Ritalin® und Co. ersetzen kann – und dann kommt alles wieder in Ordnung? Oder gibt es (auch) andere Gründe, warum unsere Kinder heute be-unruhigter sind als das früher der Fall war? Weiterlesen „AD(H)S – ist Prävention möglich? Teil I und II“
Mit der Zeit und dem Projekt haben wir gemerkt, dass Freiheit unglaublich anstrengend ist und viel fordert
Anfang 2009 hat eine Gruppe junger Menschen die Ideenschmiede „f13 | zukunft ist jetzt“ ins Leben gerufen. „Das Label f13 verbindet junge Menschen, die Fragen stellen, und unterstützt diejenigen, die sich eine Fragefähigkeit erarbeiten wollen.“ Vor allem Fragen nach neuen Wegen in Schule und Bildung und somit nach gesellschaftlicher Gestaltungsmöglichkeit stehen im Mittelpunkt. Weiterlesen „Die Macher von Morgen“
Von zehrenden und aufbauenden Kräften in der Erziehung
Zusammenfassung eines Vortrages von Claus-Peter Röh, Waldorflehrer
Claus-Peter Röh
Auf den ersten Blick zeigen sich heutige Kinder selbstbewusst, fordernd und sinneswach. Lassen wir uns als Erzieher auf eine Begegnung und einen zweiten Blick ein, so zeigen sich mitten im Alltag überraschende innere Seiten der Kindesindividualität. Wie lernen wir, das Innere der jungen Menschen wahrzunehmen?
Claus Peter Röh, langjähriger Waldorflehrer, hielt im Mai dieses Jahres dazu einen Vortrag in der Rudolf Steiner Schule Bergedorf. Weiterlesen „Der innere Mensch lernt immer mit“
Interview über Sexualkundeunterricht mit Dr. med. Christine Klemm, Simone Hoffmann, Dr. med. Jost Deerberg
Simone HoffmannChristine KlemmDr. med. Jost Christian Deerberg
In unserer aufgeklärten Kultur werden wir von den Medien mit Informationen zum Thema Sexualität überhäuft, aber die Frage ist: Wie lebensgemäß sind diese für junge Menschen? Gerade weil es so viele Vorlagen gibt, ist es schwer, das angemessene Wissen für sich zu finden und die Intimsphäre selbst zu gestalten.
Die drei ÄrztInnen geben Unterricht, zu zweit oder alleine, in Beziehungs- und Sexualkunde in einigen Waldorfschulen. Immer wieder wird die Bitte an die drei ÄrztInnen herangetragen, Themen aus dem Umkreis der Sexualität im Unterricht zu vertreten. Dabei geht es nicht nur um sachliche Informationen, sondern auch darum, die Schüler und Schülerinnen auf ihrem Weg in eine individuelle Intimsphäre zu unterstützen.
Interviewpartner:
Dr. med. Christine Klemm, geb. 1971, Ärztin, derzeit in Elternzeit, ehem. Waldorfschülerin, 3 Kinder; arbeitet in der Hamburger Beratungsstelle der „Unabhängigen Patientenberatung Deutschland (UPD)“; beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem Thema Sexualität und gibt seit 3 Jahren dazu in den Waldorfschulen Unterricht; seit 10 Jahren u.a. Dozentin für Gynäkologie in der Ausbildung für Physiotherapie.
Simone Hoffmann, Ärztin, geb. 1974, 2 Kinder. Autorin und Medizinjournalistin, jetzt halbtags Frauenärztin in der Praxisklinik Barmbek (konventionelle und anthroposophisch erweiterte Medizin). Außerdem Wissenschaftlerin am Institut für Sexualwissenschaft, UKE. Unterricht in Rudolf Steiner Schulen zum Thema Sexualität, Weiblichkeit, Schwangerschaft und Geburt.
Dr. med. Jost Christian Deerberg, geb. 1969, 1 Kind und zwei Zweittöchter, seit 2005 niedergelassener Kinderarzt in privater Praxis in Altona/Ottensen. Ebenfalls seit 2005 Schul- und Kindergartenarzt in den Rudolf-Steiner Schulen Altona und Wandsbek. Dozent in der berufsbegleitenden Ausbildung zum Heilpädagogen. Vortragstätigkeit.
Christine Pflug: Von wem werden Sie eingeladen, und wie gestaltet sich der äußere Rahmen Ihres Unterrichtes?
Simone Hoffmann: Bisher verläuft das noch ungeordnet. Wir arbeiten zur Zeit an einem Vorschlag für ein Konzept – denn bisher ist das Thema „Sexualität“ an den Waldorfschulen nicht verankert. Irgendwo entsteht der Bedarf an professioneller Aufklärungsarbeit in einer Klasse. Und dann werden wir angesprochen. Je nach Fragestellung kommen wir dann zu zweit oder auch alleine.
Dr. med. Jost Christian Deerberg: Der Ablauf ist normalerweise so, dass von Lehrer, Eltern oder Schülern der Impuls ausgeht, bestimmte Aspekte der Sexualität zu thematisieren. Dann werden wir als Ärzte angesprochen. Meistens findet zunächst ein Elternabend statt, dann wird der Unterricht geplant. Mehr als 2 – 4 Unterrichtsstunden haben wir leider selten.
Simone Hoffmann: Wenn wir dann als Mann und Frau in den Unterricht kommen, können wir uns aufteilen: Zuerst schauen wir uns gemeinsam das Allgemeine an, und dann trennen wir nach Jungen und Mädchen, um spezielle Fragen zu besprechen, die dann oft auch sehr schnell persönlich und individuell werden. Ich bin nicht dafür, so etwas wie den weiblichen Zyklus nur mit den Mädchen zu besprechen: Das geht alle etwas an. Aber die Qualität, die Gespräche bekommen, die Dringlichkeiten, sind anders, wenn man nur die Jungs oder nur die Mädchen unterrichtet.
der Umgang mit den sich verändernden Körpern ist eine echte Herausforderung
C. P.: Warum werden Sie in eine Klasse gerufen?
Dr. med. Christine Klemm: Von den Eltern kommen Fragen über das soziale Miteinander zwischen Mädchen und Jungen in der Pubertät, aber auch Konkurrenzsituationen von Mädchen untereinander werden mit Sorge gesehen. Der Umgang mit den sich verändernden Körpern ist eine echte Herausforderung; manchen Jugendlichen gelingt das gut und sie wirken sehr souverän, für andere wiederum ist dies (noch) gar kein Thema, einigen fällt es sichtlich schwer. Möglicherweise sorgen sich besonders Mädcheneltern um sich entwickelnde Magersucht.
J. Deerberg: Werden wir „gerufen“, geht es im Prinzip um sexuelle Aufklärung. Einmal wurde ich beispielsweise vor der Klassenreise der 8. Klasse, also für Schüler im Alter von 14 – 15 Jahren, gebeten noch schnell den Schülern zu erklären, wie „gefährlich“ sexueller Kontakt ist, d. h. dass Sex zu Schwangerschaften führen kann und wie man verhüten soll. Das war vor allem ein Anliegen der Eltern.
C. P.: Welche Fragen stellen Ihnen die Schülerinnen und Schüler?
C. Klemm: Sie haben Fragen zu vielen Themen: Schwangerschaft und Geburt; HIV, Verhütung, warum Zwillinge gleich aussehen, ob sie an verschiedenen Tagen geboren werden können etc. Es werden manchmal sensationelle oder auch verrückte Sachen gefragt – einfach, weil jemand Kompetentes da ist, der das beantworten kann. Das Interesse an der Entwicklung menschlichen Lebens ist riesengroß.
J. Deerberg: Angst ist ein großes Thema, z.B. die Angst vor einer Schwangerschaft (die ja meistens erstmal die Angst der Eltern ist). Da stößt man gleich auf ein Paradoxon, mit dem wir es zu tun haben: Wir sprechen von etwas Wunderschönem, von dem wir alle abstammen und was elementar wichtig ist und auf der anderen Seite mit großen Ängsten belegt ist.
S. Hoffmann: Solche Ängste sind ja einerseits traurig, aber eben auch berechtigt. Ich erlebe in meiner Praxis monatlich zwei bis vier unter 15 Jahre alte Mädchen, die schwanger sind. Und eigentlich alle entscheiden sich für einen Schwangerschaftsabbruch. Früh ausgelebte Sexualität ist in unserer Zeit sehr präsent – aber die mögliche Folge, nämlich als Jugendliche Mutter zu werden, ist in unserer Gesellschaft ein großes Stigma, das vom Umfeld in der Regel nicht getragen wird. Die vielen Teenagerschwangerschaften machen auch deutlich, dass übliche Aufklärungsmedien, z. B. die „Bravo“, auch viele Elternhäuser, entscheidende Dinge oft nicht vermitteln können.
Sicherheit auf Rezept statt Vertrauen und Information
Ich erlebe in meiner Mädchensprechstunde viele Mütter, die mit ihrer Tochter nach dem 13. Geburtstag zum Frauenarzt geben, um ihr die Pille verschreiben lassen, egal ob die Tochter überhaupt schon sexuelle Kontakte hat. Also: Sicherheit auf Rezept statt Vertrauen und Information. Das halte ich auch für dramatisch und einen wichtigen Grund für unseren Unterricht.
C. P.: Sind die Schüler der 8. Klasse nicht aufgeklärt?
die Zahl der Teenagerschwangerschaften steigt stark an
Dr. Christine Klemm: Sie sind technisch aufgeklärt darüber, wie es zur Schwangerschaft kommt. Das reicht aber nicht immer, um im konkreten Fall das theoretische Wissen über Verhütung in die Tat umzusetzen – schließlich geht es ja bei einer ersten intimen Begegnung um besonders aufregende Empfindungen und nicht in erster Linie um einen technischen Vorgang. Gerade weil Sexualität in den Medien eine so große Rolle spielt, haben Jugendliche (und Erwachsene oft nicht anders!) ein Gefühl, wie „es sein muss“, und das ist eine Belastung. Die Verhütung macht alles noch komplizierter, und trotzdem sind es nur 12% der Mädchen und 15% der Jungen, die beim ersten Mal gar nicht verhüten (BZgA, Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung). Die meisten Jugendlichen gehen verantwortungsbewusst mit ihrer Sexualität um, doch steigt die Zahl der Teenagerschwangerschaften laut der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung BZgA stark an.
J. Deerberg: Die Schüler kennen alles – wirklich alles – über die sogenannte Straßenaufklärung. Das geht von Mund zu Mund. Sie kennen jedes Jargonwort, aber haben kein inneres Erleben von dem sie sprechen, und es verschafft ihnen auch keinen Zugang zur Sexualität. Noch weniger verschafft es ihnen einen Zugang zu Partnerschaft und Beziehung … . Meistens sind die Kinder und Jugendlichen noch nicht von einer kompetenten Person „aufgeklärt worden“, also ohne Hemmungen mit diesem Thema konfrontiert worden – und dieses Thema ist eben viel größer – als „nur“ Sexualität.
C. P.: Auf welchem Wertehintergund sehen nach Ihrer Wahrnehmung die Jugendlichen das Thema Sexualität und Schwangerschaft?
J. Deerberg: Die letzte Shell-Studie von 2006 besagt, dass die Werte der Jugend sehr moralisch, bis hin zu konservativ sind: Wenn man zum ersten Mal mit jemand schläft, will man ihn lieben und mit ihm in einer guten und festen Beziehung stehen.
C. Klemm: Wenn man sie fragt, wollen sie später fast alle Kinder haben. Doch besonders für Frauen scheint dieser Wunsch nach Ausbildung und ersten Berufsjahren nicht so einfach zu verwirklichen zu sein – ein Fünftel der heute 40-49jährigen Frauen hat keine Kinder, bei Akademikerinnen in Westdeutschland sind es sogar 42%. Es passiert da also etwas auf dem Weg in die Erwachsenenzeit. Mir ist wichtig, Aufklärung so zu vermitteln, dass sie einerseits vor ungewollten Schwangerschaften bewahrt. Andererseits ist es schade, wenn sie so ins Blut übergeht, dass dann auch später Kinder eher als Gefahr, nicht als Bereicherung für die Biographie erlebt werden und der Mut sinkt, Elternschaft und die individuelle Entwicklung miteinander vereinen zu können. Die Frage ist doch: Wie kann ich selbst gestalten, wann, mit wem und unter welchen Umständen ich Kinder bekommen will?
S. Hoffmann: Genau. Und dazu gehört auch, zu vermitteln, dass Kinder bekommen ein Geheimnis ist, dass man nur bedingt planen kann. Jedes siebte Paar bleibt ungewollt kinderlos. Heute ist nur jede dritte Schwangerschaft, die in Deutschland entsteht, geplant. Kinder kann man nicht „machen“ – das ist vielen nicht bewusst.
C. P.: Ist Ihr Unterricht offiziell im Lehrplan enthalten?
nur 24 % der Männer vor dem 25 Lebensjahr ziehen aus dem Elternhaus aus
J. Deerberg: Es geht uns momentan darum, dass für jede Schule ein Konzept erarbeitet wird, bei dem die Lehrer dahinter stehen, mit der Unterstützung der Eltern. Aber es gibt noch kein allgemeines Konzept, wir schaffen mit unserer Unterrichtspraxis die Anfänge eines Bewusstseinsprozesses, der alle betrifft: Lehrer, Eltern und Schüler. Unser Unterricht ist häufig in die Biologie- und Menschenkundeepochen integriert. Meine Meinung ist, den Unterricht nicht „Sexualkunde“ zu nennen, sondern „Beziehungskunde“. Sexualität ist ein spezielles Phänomen der Beziehung zwischen zwei Menschen. Man muss mit den jungen Menschen ganz stark an der Beziehungsseite lernen und üben. So fordert, wie eben schon einmal erwähnt, Prof. Dr. Klaus Hurrelmann, der Soziologe in Bielefeld, eine Lebenskunde an Schulen. Prof. Hurrelmann bezieht sich auf die Tatsache, daß nur 24 % der Männer vor dem 25 Lebensjahr aus dem Elternhaus ausziehen!!
C. P.: Wie wird der Sexualkundeunterricht an Staatschulen gemacht?
S. Hoffmann: Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung stellt Material zur Aufklärung zur Verfügung, das man sich im Internet bestellen kann. Das am häufigsten verwendete Instrument ist der sog. Verhütungskoffer, in dem verschiedenste Verhütungsmittel enthalten sind. Beispielsweise gibt es darin Kondome, und jeder darf dann mal ein Kondom aufrollen über einen Holzstab. Das ist auch nicht verkehrt, und die Schüler sind trotz Gekicher froh, das einmal erklärt zu bekommen. Aus meiner Praxis weiß ich, dass viele das nicht wissen.
Das Wissen ist zwar zugänglich, aber es wird sehr selektiv wahrgenommen
C. P.: Es ist doch erstaunlich, was in unserer mit Informationen beladenen Welt alles nicht gewusst wird!?
S. Hoffmann: Das sind Punkte, die können einem regelrecht weh tun: Das Wissen ist zwar zugänglich, aber es wird sehr selektiv wahrgenommen. Was fast alle Leute – jung wie alt – wissen z. B., wie häufig Männer und Frauen miteinander schlafen, wie alt man im Durchschnitt beim ersten Mal ist, wie man sich richtig die Schamhaare rasiert usw. Diese „Leistungsmerkmale“ werden stark wahrgenommen und sind auch präsent – aber denen entspricht kaum ein Jugendlicher und auch kein Erwachsener.
Deshalb frage ich mich, ob man unseren Unterricht nicht doch Sexualkunde nennen muss: Beziehung ist ein großes Thema und wird auch im Deutschunterricht usw. behandelt. Aber da gibt es bisher einen Bruch: Ein pädagogischer Zugang über diese bestimmte Beziehung, die wir „Sexualität“ nennen und die für Biographien zentral ist – z. B. gäbe es uns nicht, wenn unsere Eltern diese bestimmte Beziehung nicht vor Jahren eingegangen wären –, wird bisher kaum als schulische Aufgabe angenommen.
J. Deerberg: Mein Anliegen ist, dass man dieses Thema – und jetzt zitiere ich Christian Breme – nicht von „unten nach oben“, sondern von „oben nach unten“ vermittelt. Von unten nach oben wäre, dass man auf der technischen Ebene von Sexualität schaut, wie die Mechanik und die Biologie funktioniert und wie man auf dieser Ebene verhüten kann. So arbeitet hauptsächlich Pro Familia; sie verlieren den Beziehungsaspekt nicht aus dem Blick, aber der Schwerpunkt liegt auf den Techniken und auf dem Vermitteln von Wissen. Es gibt Studien darüber, dass nach 30 Jahren Aufklärungsunterricht in Deutschland, also nach den 70-er Jahren das Wissen der Jugendlichen danach stagnierte: 20% haben ein abrufbares Wissen und die restlichen 80% wissen immer noch nicht, wann eine Frau fruchtbar ist, wie man Kinder gebärt etc. Deshalb finde ich, dass dieses Prinzip „von oben nach unten“ bei dem Thema „Beziehung“ beginnt und dann zu dem Spezialfeld Sexualität kommt.
Wenn wir in die Schulen kommen, ist das frühestens in der 5. Klasse, also bei 11-jährigen, und die Schüler sind mit einer erwachenden Sexualität konfrontiert. Auch in der 8. Klasse haben die meisten noch keine sexuellen Erfahrungen. Man ist also immer noch in dem Bereich: Wie kommt es überhaupt zu so einer Begegnung? Erst wenn das im Ansatz geklärt ist und z. B. die Besonderheiten von Frau und Mann, auch im Seelischen, angesprochen sind und ein Staunen im Raum entstanden ist, lassen sich die Details begründet über Anatomie, Physiologie, wie z.B. den weiblichen Zyklus und Hormone vermitteln.
C. P.: Wir haben in den letzten Jahrzehnten enorme Umschwünge in den moralischen Werten in Bezug auf Sexualität erlebt. Noch bis in die Nachkriegszeit bekam man als Mädchen von den Eltern vermittelt, man müsse als Jungfrau in die Ehe gehen, ab den 68-ern gab es dann Parolen wie „Wer zweimal mit der Selben pennt, gehört schon zum Establishment“. Ab den 80-ern tauchte AIDS auf, und dieser liberale Umgang wurde eingeschränkt, aus Angst vor Ansteckung. Wie kommen die Jugendlichen heute zu ihren Werten?
Die SchülerInnen haben einen inneren Zugang zu dem, was falsch oder richtig sein könnte
S. Hoffmann: Ich habe eine Situation erlebt, die mich sehr berührt hat. In der 12. Klasse habe ich über verschiedene Arten, geboren zu werden erzählt, auch darüber, wie Kinder mit einem geplanten Kaiserschnitt zur Welt kommen. Es ging dann schnell um die Frage: Wer legt dafür eigentlich den Termin fest? Es hat die Schüler sehr bewegt und empört, dass ein Krankenhaus so einen Termin einfach nach organisatorischen Gesichtspunkten plant, anstatt danach zu fragen: Wann ist eigentlich für dieses Kind der richtige Moment, um geboren zu werden? In solchen Momenten spürt man: Die SchülerInnen haben einen inneren Zugang zu dem, was falsch oder richtig sein könnte. In solchen Momenten werden dann auch Werte formuliert, die etwas ganz Großes haben und weit über die eigentlich besprochene Situation hinaus gehen. Es geht nicht um Werte wie „kein Sex vor der Ehe“, sondern darum, was Liebe ist, was Menschsein bedeutet und wie man dies mit Leben füllen kann. Und natürlich geht man aus solchen Unterrichtsstunden ganz anders heraus, als man hinein gegangen ist: sehr dankbar, sehr beglückt. Denn diese Sicherheit muss man sich ja sonst immer wieder erarbeiten – und hier kriegt man sie einfach geschenkt.
J. Deerberg: Die Statistiken besagen, auch bei den Erwachsenen, dass die Deutschen immer die Familie an erste Stelle setzen. Das sind die gleichen Deutschen, die sich dann zu 50% scheiden lassen. Darin steckt schon die Antwort: Die Jugendlichen spüren diese Ideale immer mehr, aber nicht weil sie gegeben sind, sondern weil sie fehlen. So wie wir uns nach Familie sehnen, nach Sicherheit, Geborgenheit und Liebe, aber keiner weiß, wie man das erreichen kann – wir müssen das Feld vollständig neu entwickeln.
In den 68-ern wollte man sich von dem Muff der Traditionen befreien. Es wäre schön, wenn man den Jugendlichen heute dabei helfen könnte, aus ihren Idealen heraus ihren Lebensweg zu finden und nicht dem Druck zu erliegen, dass man beispielsweise mit 15 Jahren entjungfert sein muss. Heute stehen wir kulturell mit der Sexualität in einem Gleichmaß zwischen Euphorie und Depression – die sexuelle Revolution der 68’er ist vorbei und die Panik vor AIDS ist abgeflaut und einer nüchternen Betrachtung der Gefahren gewichen. Und somit haben wir die Möglichkeit einen eigenen Weg zu finden.
C. P.: Was ist Ihnen selbst ein Anliegen in Ihrem Unterricht?
S. Hoffmann: Als ich nach einem zentralen Bild gesucht habe, was mir für diesen Unterricht wichtig ist, fielen mir die 12- bis 14-jährigen Mädchen ein, die von ihren Müttern zur Frauenärztin gebracht werden. Normalerweise – ich handhabe das etwas anders – kommt dann gleich die erste gynäkologische Untersuchung und dann das Pillenrezept. Ab dann werden sie alle 6 Monate zur „Kontrolle“ einbestellt. Es entsteht eine Selbstverständlichkeit, dass die Sexualität, die Fruchtbarkeit und die intimen weiblichen Organe pharmakologisch – also durch die Pille – reguliert werden müssen, dass sie kontrollbedürftig sind und immer wieder von Ärzten unter die Lupe genommen werden müssen.
Dem möchte ich rechtzeitig etwas entgegen setzen: Freude und Sicherheit mit dem eigenen Körper, Langsamkeit und Entdeckerfreude in intimen Beziehungen. Wissen, auf das man vertrauen kann, statt Gefahren, die drohen. Genug innere Wachheit, um im Guten miteinander zu schlafen…
C. Klemm: Die Jugendlichen sind in diesen Momenten, das eigene Leben zu gestalten, sehr alleine. Es gibt so viele Freiheiten und man weiß nicht wohin. Der Ansatz der Feministinnen, sich mit dem eigenen Körper auszukennen und ein Wissen über ihn zu haben, ist heute verloren. Es geht nicht mehr darum, den eigenen Körper kennen zu lernen, um mit ihm als Werkzeug, so wie er eben ist, das Leben zu gestalten und auch anderen Menschen zu begegnen bis hin zur Sexualität. Im Gegenteil sieht es für viele junge Menschen heute eher so aus, dass der Körper, so wie er ist, korrigierungsbedürftig ist, eben nach den Vorlagen aus Film, Fernsehen, Zeitschriften, Internet. Jeden Tag in der Hamburger U-Bahn kann man Werbung dafür sehen, den Körper der jeweils aktuellen Norm entsprechend zu verändern, von der Komplettkörperenthaarung bis hin zur Chirurgie der weiblichen Geschlechtsorgane (z.B. Beschneiden der inneren Schamlippen, die oft unterschiedlich „lang“ sind). Die Hochachtung vor dem Körper als „Tempel Gottes“ und damit die Sicherheit, richtig zu sein, so wie man ist, ist vielen Menschen ganz verloren gegangen. Wir leben in einer sehr visuell betonten Kultur. Gerade in der Sexualität geht es aber auch um andere, letztlich um alle Sinne, nicht nur darum „wie sieht es, wie sehe ich, aus?“
die Fixierung auf das Visuelle und der Wunsch, körperlich Normen zu entsprechen, will ich mit den Schülern gemeinsam kritisch ansehen
Als Menschen machen wir die Reise der Menschheitsentwicklung im Kleinen noch einmal. In der Pubertät wird die Begegnung dringend gesucht, als erwachendes Weltinteresse und natürlich auch mit anderen Menschen, auch mit dem anderen Geschlecht. So gibt Rudolf Steiner für dieses Lebensalter z. B. an, dass ein spannender Unterricht, der die Lust der Jugendlichen auf die Welt weiter fördert und befriedigt, vor zu starkem und zu frühen Eintauchen in das erotische Erleben bewahren kann. Für den Lebensweg, für Arbeit und für die Begegnung mit anderen Menschen brauchen wir alle Sinne, nicht nur das Auge. Das „Wie sehe ich aus?“ und die Konzentration auf alles Visuelle ist heute für viele Menschen eine echte Hürde, die Welt und andere Menschen auch mit anderen Sinnen zu begegnen und dadurch eine umfassendere und tief befriedigende Empfindung zu bekommen, sei es in der Sexualität, in Beziehungen, bei der Arbeit etc…. Für den „Sexualkunde“- oder Lebenskundeunterricht halte ich es daher für wichtig, die Fixierung auf das Visuelle und den Wunsch, körperlich Normen zu entsprechen, mit den Schülern gemeinsam kritisch anzusehen.
Die Schüler sind dann oft sehr offen für das Wunderbare, das sich auch im Körperlichen des Menschen, in der Entwicklung zeigt.
J. Deerberg: Mir ist ein Anliegen eine Stimmung zu schaffen, die den Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit gibt mit ganz neuen Augen auf dieses Thema menschlicher Beziehungen zu schauen: So könnte – ein Gedanke von Henning Köhler aufgegriffen – der oben erwähnte Bewusstseinsprozeß dazu führen, Sexualität und Liebe als eine Kraft zu erleben, die zwei Menschen miteinander verbindet, die sie erfahren dürfen, die sie teilen – und jetzt kommt das Neue: durch welche sie sich selbst ein Stück näherkommen, d. h. ihrem wahren Ich! Das ist ein revolutionärer Gedanke, den Henning Köhler etwa so formuliert: „Du bist das Subjekt meiner Liebe“ – und nicht das Objekt – und ich ergänze!
Literatur:
Simone Hoffmann: Verhütung, Zyklus, Kinderwunsch; Knauer, Mens sana 2007. 6,95 im Buchhandel
Bart Maris Buch über Sexualkunde in der Waldpädagogik; Hrsg. Bart Maris/ Michael Zech: 1. Aufl. 2006 in Edition Waldorfschulen
Henning Köhler: „Eros als Qualität des Verstehens – über das erotische Erwachen im Jugendalter und den gemeinsamen Ursprung von Kreativität und Zärtlichkeit“ FIU-Verlag 1998
Christian Breme: siehe die Homepage von C. Breme unter www.ikaros.cc.
Merkblätter zur Pille etc. unter www.gaed.de und genau unter www.gaed.de/fileadmin/gaad/PDF/Aktuelles/Merkbl%C3%A4tter/Merkblatt-Pille.pdf
Prof. Dr. Klaus Hurrelmann: Hamburger Abendblatt vom 3.1.2009:
Shell Jugendstudie 2006 im Fischer Taschenbuch Verlag oder unter www.shell.de/jugendstudie
Interview mit Dennis Pauschinger, ehemaliger Waldorfschüler
Dennis Pauschinger
Was macht ein junger Mensch nach dem Abitur? Vor allem, wenn er mit viel Idealismus anderen Menschen helfen will … . Dennis Pauschinger ging in das Armenviertel Monte Azul, am Rande von São Paulo in Brasilien. Dort leistet die Associação Comunitária Monte Azul, gegründet von Ute Craemer, schon seit über 25 Jahren Sozialarbeit. Der ehemalige Hamburger Waldorfschüler hatte zunächst etliche Bewährungsproben inmitten der sozialen Probleme der Favelas zu bestehen. Begeistert berichtet er von der lebendigen und immer wieder neu sich erschaffenden „sozialen Plastik“ Monte Azul, wo Menschen trotz schwieriger Bedingungen mit Heiterkeit und Lebensfreude an ihrem Projekt arbeiten. Weiterlesen „Die Favela Monte Azul“
Eine der Schulen; sie liegt nicht weniger als 100 Meter vom Müllberg entfernt
„Mein Erlebnis der furchtbaren Kinderarbeit in den Slums von Kalkutta führte zur Gründung des Vereins H.E.L.G.O. e.V. (Help for Education and Life Guide Organisation, Hilfe bei Erziehung, Ausbildung und Lebensführung)“.
Mehrere Jahre behandelte der Hamburger Arzt Dr. Meyer-Hamme während seiner Ferien in einer kleinen Ambulanz Menschen in den Slums in Kalkutta. Darunter waren viele Kinder, die schon ab dem 7. Lebensjahr täglich bis zu 12 Stunden unter erbärmlichen Umständen arbeiten mussten. Obwohl sie dabei oft erkranken, werden sie weiter zur Arbeit geschickt, da der Lohn für das Überleben der Familien dringend gebraucht wird.
Um dieses Übel grundsätzlich anzugehen, gründete er vor 13 Jahren ein Projekt, das für eine Schulausbildung für diese Kinderarbeiter sorgt. Weiterlesen „Hilfe für die Kinderarbeiter in Kalkutta“
Hamburger Waldorfschüler und Istanbuler Gymnasiasten im Austausch
Die Schüler unterwegs im Hafen
Haben die Deutschen Vorurteile gegenüber den Türken? Falls dem so ist, konnten über 450 Schüler der Rudolf Steiner Schule Bergstedt diese ausräumen. Und inzwischen sind sie alle begeistert, die deutschen und die türkischen Schüler.
Im Sommer 2006 waren ca. 150 Mittelstufenschülerinnen und Schüler eines deutschsprachigen Gymnasiums in Istanbul (Istanbul Erkek Lisesi) und der Rudolf-Steiner-Schule Hamburg-Bergstedt an einem Schüleraustausch beteiligt.
Dieses Jahr war dann die Oberstufe an der Reihe: im Rahmen der Vermessungsepoche flog die 10. Klasse – inzwischen 11. Klasse – im Mai nach Istanbul. Gemeinsam mit 30 gleichaltrigen Mitschülern des naturwissenschaftlich orientierten Gymnasiums ‚Istanbul Lisesi’ vermaßen sie das Geländes der Istanbuler Technischen Universität. Jetzt im September fand dann der Gegenbesuch der Istanbuler statt.
Ich traf die Schüler im Thalia Theater bei den Proben für das Stück „Nathan der Weise“, was auch ein Teil des gemeinsamen Programms ist. Weiterlesen „Deutsch-türkische Begegnungen“
Interview über Jungenpädagogik mit Ulrich Meier, Pfarrer der Christengemeinschaft
Ulrich Meier
„Jungen brauchen eine andere Pädagogik als Mädchen“ – diese Erkenntnis wird in den letzten Jahren immer populärer. Etwa seit 1990 ist bemerkt worden, dass Jungen in ihrer Kindheit und Jugend nicht nur mehr Schwierigkeiten machen, sondern sie auch haben. Alle Störungen, die ein Kind in der Zeit des Heranwachsens haben kann, sind bei Jungen bis zu zehnmal häufiger vertreten als bei Mädchen – was Eltern und Pädagogen häufig an den Rand ihrer Fähigkeiten bringt. Doch wie fasst man Jungen anders an? Was steckt dahinter, wenn sie cool, aggressiv, beängstigend sind? Welche Orientierung können sie heute bekommen durch die Welt der erwachsenen Männer, die ebenfalls in einem Umbruch ist? Weiterlesen „Junge sein und Mann werden – Abenteuer oder Katastrophe? (Teil I und II)“