„Die Nebenübungen als Kraftquelle im individuellen und sozialen Leben“
Zusammenfassung eines Vortrages von Frau Dr. med. Michaela Glöckler
Wir sind als Menschen unvollkommene Wesen. Die Natur hat uns nicht festgelegt, wie wir zu sein haben. Krone der Schöpfung bedeutet also, dass die Natur, die Schöpfung, im wahrsten Sinne des Wortes in jedem von uns zu einem Ende gekommen ist. Wenn Freiheit als neue Qualität in dieser Schöpfung entstehen soll, als etwas, das nur durch den Menschen und seine Art der Entwicklung möglich werden kann – dann muss es im Menschen einen Bereich geben, über den nur er allein verfügen kann. Diesen seelischen Freiraum bewusst zu machen und zu üben, ihn gut zu gebrauchen – das scheint Hintergrund und Sinn der Nebenübungen zu sein. Indem wir diese Übungen machen, erleben wir unmittelbar, in welchem Maße unsere gesamte geistig-seelische Entwicklung von unserem freien Willen abhängt. Der Mensch ist der Ort der Verwandlung, wo bisherige Schöpfung an ihr Ende kommt und eine neue Schöpfung beginnt.
Michaela Glöckler hielt diesen Vortrag und ein Seminar am 20. und 21. September im Rudolf Steiner Haus. Er ist Hintergrund und Vorbereitung auf das Thema: „Die Nebenübungen als Kraftquelle im individuellen und sozialen Leben“
Dr. med. Michaela Glöckler, Kinderärztin; bis 1987 am Gemeinschaftskrankenhaus Herdecke und schulärztliche Tätigkeit an der Rudolf Steiner Schule Witten; 1988 bis 2016 Leitung der Medizinischen Sektion am Goetheanum/Schweiz; Mitbegründerin der Alliance for Childhood und der Europäischen Allianz von Initiativen angewandter Anthroposophie/ELIANT; internationale Vortrags- und Seminartätigkeit; diverse Publikationen zu Fragen der Medizin, Pädagogik, Erziehung, u.a. Mitautorin der bekannten Erziehungsratgeber «Kindersprechstunde» und «Elternsprechstunde“
Ein freies, selbstbestimmtes Wesen kann nur ich aus mir selbst machen, die Natur kann es nicht, die Gesellschaft kann es nicht – ich darf und ich muss es selber machen. Wenn ich es aber nicht mache – welche Identität habe ich dann? Wir haben die drei Worte für unsere Identität: Ich, wahres Selbst und Höheres Selbst. Das wahre Selbst ist das, was ich mir als Ideal in innerster Wahrhaftigkeit und Gewissensfreiheit selber vornehme „zu werden“. Meist sind es Zeiten der Krise, in denen wir merken: „Wenn ich mich jetzt nicht wirklich ergreife, mir selber sage, was und wer ich werden will, dann herrschen andere über mich oder ich werde krank oder rutsche völlig ab.“ Wenn wir in diesen dunklen Stunden bestehen wollen, sind wir gefordert, diesen Schritt der Selbstbestimmung zu wagen – wenn nichts mehr trägt, lernen wir, uns in uns selbst zu halten und unserem Werde-Ideal, das uns trägt, zu vertrauen.
Weiterlesen „Das eigene Menschsein entwickeln Teil II“