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Klimawandel in Gemeinschaften
Wie können wir eine neue Kultur des Zusammenlebens schaffen?
Zusammenfassung eines Vortrages von Christian Bartholl, Pfarrer
Die Atmosphäre in der Gesellschaft hat sich sehr verändert. Sie wird immer kälter – ganz im Gegensatz zu den äußeren Temperaturen. Wie können wir in der Gemeinschaft eine Art Klimawandel vollbringen? Wie können wir eine Atmosphäre schaffen, in der mehr Licht und Wärme entsteht?
Der Vortrag „Resonanz im Zwischenraum – Klimawandel in Gemeinschaften“ wurde gehalten am 14. September in der Lukas Kirche in der Themenreihe „Atmosphäre“. In dieser Reihe ging es um Fragen der Zukunft: wie wir leben wollen, die Wärme als Träger des Ichs, wie sich der Klimawandel in den Meeren auswirkt.
Christian Bartholl wurde in Stade geboren und 2006 als Pfarrer geweiht. 5 Jahre war er in München tätig. Er arbeitet seit 12 Jahren in Hamburg-Volksdorf. Seit 6 Jahren trägt er Verantwortung für die Christengemeinschaft in Norddeutschland. Er war im früheren Beruf Grafik-Designer und arbeitete für Zeitschriften- und Buchverlage.
In der Art, wie wir derzeit zusammen leben, zeigt sich Finsternis, aber auch Licht. Unser Bild von der Welt ist geprägt von vielen das Gemüt verdunkelnden Schreckensmeldungen, die uns überwältigen. Im Kommunikationszeitalter kann fast jeder ganz einfach in alle Ecken der Welt Verbindung aufnehmen. Oft entsteht der Eindruck, dass dabei die Tiefe der Verbindung nicht stärker, sondern schwächer wird. Viel wird miteinander gesprochen, doch die Sprachlosigkeit nimmt zu. Kann ich auf den anderen hören, was er wirklich sagt, oder habe ich bereits eine so feste Meinung, dass ich etwas anderes nicht zulassen kann? Wer beispielsweise in Internet-Foren keinen Menschen mehr vor sich hat und deshalb ungehemmt all seine Wut und Frustration in Hassmails verpackt und in die Welt schickt, verdunkelt damit die geistige Atmosphäre.
Licht entsteht, wo Menschen sich in ihrem Innersten berühren, wo die Trennung vom Ich zum Du überwunden wird. Liebe baut eine Brücke zwischen dem, was getrennt ist, dort, wo beispielsweise Eltern sich liebevoll ihrem Kind zuwenden, wo Menschen sich aufeinander einlassen, wo versucht wird, die anderen zu verstehen, auch wenn das schwer fällt. So entsteht Licht oft im scheinbar Verborgenen.
Beziehungen zwischen verschiedenen Sphären urbildhaft dargestellt
Die Sehnsucht ist groß, das geistige Klima von Verdunkelung und Erkaltung zu überwinden. In der Offenbarung des Johannes wird im 4. Kapitel ein Weg zu einer lichtvolleren Welt beschrieben. Dort wird die Aufnahme von Beziehungen zwischen verschiedenen Sphären urbildhaft dargestellt. Albrecht Dürer hat in einer Serie von Holzschnitten dieses Kapitel der Apokalypse illustriert.
In diesem Zyklus zeigt er in einem durchgehenden Kompositionsprinzip im unteren Bildteil eine Landschaft aus dem 16. Jahrhundert, der Zeit, in der Dürer lebte. Der obere Bereich, der durch eine Wolke abgetrennt ist, stellt dar, was in der Sphäre des Geistes geschieht.
Dort ist in einer angedeuteten Mandorla die Trinität abgebildet: Auf dem Thron sitzt der Vatergott, darüber sind sieben Leuchter zu sehen, die sieben Geistwesen Gottes symbolisierend. Das Lamm steht für den auferstandenen Christus.
Um die Sphäre der Trinität sind die geflügelten Wesen Stier, Löwe, Adler und Mensch als die Repräsentanten der vier Evangelisten zu sehen. Sie haben aufgeschrieben, was göttliches Wort ist. Diesen „Logos“ können wir mit äußeren Ohren nicht hören. Er durchzieht die gesamte Schöpfung. Das göttliche Wort ist in Christus sichtbar geworden, und indem die Evangelisten das Leben des Christus beschrieben, übersetzten sie den Logos in Menschensprache.
Neben der Trinität und den Evangelisten wird eine weitere Schicht sichtbar. Um den Thron herum haben sich die 24 Ältesten versammelt. Einige spielen auf der Harfe. Ist es Sphärenmusik, die erklingt? Einer der Könige spricht mit Johannes. Unter den 24 Ältesten lebt die göttliche Weisheit. Sie bilden eine Gemeinschaft mit einer besonderen Qualität: In der Zahl 24 ist zwei Mal die Zahl Zwölf enthalten. Zwölf Tierkreiszeichen, zwölf Jünger, zwölf Gralsritter bilden eine Einheit, in die eine geistige Kraft einziehen kann.
die irdische mit der himmlischen Sphäre verbinden
Im Zentrum des Bildes hat Albrecht Dürer Johannes den Apokalyptiker dargestellt. Er verbindet die irdische mit der himmlischen Sphäre. Als Mensch hat er sich die Fähigkeit erworben zu hören, was aus der geistigen Welt sprechen will. Dürer zeigt ihn in seinem Holzschnitt im Gespräch mit einem der 24 Ältesten. Es ist keine irdische Sprache, die der König spricht, da sie aus der Sphäre des Geistes gesprochen wird. Johannes hat sich eine neue Qualität des Hörens erwerben müssen, um in dieses Gespräch einzutreten. Es ist ein Hören dort, wo nichts Äußeres spricht, in einem von den Wahrnehmungsmöglichkeiten der äußeren Welt abgeschirmten Bereich. Johannes zeigt sich in der Fähigkeit, mit der Welt des Geistes im Gespräch zu sein, als ein Wegbereiter der Menschheit, in der sich göttliche Intuition zeigen will.
Die 24 Ältesten sprechen miteinander In einer vollendeten Weise. Sie können einander so zuhören, dass in ihrer Mitte Raum für die Anwesenheit der Trinität entsteht. Sie hören aufeinander so, dass sie die anderen in ihrer Wesenhaftigkeit wahrnehmen und bemühen sich, so miteinander umzugehen, dass ein neues Ganzes entsteht. Damit werden sie zu einem Ideal für eine gelingende Gemeinschaft.
Wie wäre es, wenn wir unsere Probleme auch aus dieser Perspektive der göttlichen Welt anschauen?
Die von Dürer im oberen Bildbereich dargestellte Welt ist zu jeder Zeit und an jedem Ort anwesend. Meistens reicht das menschliche Bewusstsein nicht in diese Sphäre hinein. Die Welt würde eine andere sein, wenn es gelänge, eine neue Verbindung zu diesen Kräften aufzunehmen, die mit uns sprechen wollen. Es gehört Mut dazu, diesen Schritt über die Schwelle zu gehen. Wie wäre es, wenn wir unsere Probleme auch aus dieser Perspektive der göttlichen Welt anschauen? Das geistig-soziale Klima könnte eine ganz neue Färbung annehmen. Eine neue Kultur des Zusammenlebens würde entstehen. Wie können wir unseren eigenen Willen ein stückweit zurücknehmen, wenn es sich um gemeinschaftliche Entschlüsse handelt? Wie können wir so hinhören, dass wir den anderen in seiner Einzigartigkeit wahrnehmen?
starke Spaltungstendenzen in unserer Gesellschaft
Während der Corona-Krise haben sich in unserer Gesellschaft sehr starke Spaltungstendenzen gezeigt. Unterschiedliche Meinungen dürfen und müssen in einer Gemeinschaft sein, damit sich ein neues Ganzes bilden kann. Die Frage ist aber, wie wir aufeinander hören, wie Verständnis für die Ansichten des Fremden entsteht. Dies gilt auch für weitere spaltende Themen wie den Klimawandel oder den Ukraine-Krieg.
Bin ich bereit, mich auf den anderen einzulassen?
Bin ich bereit, mich auf den anderen einzulassen und nicht zu denken: Ich weiß, was richtig ist? Natürlich ist der eigene Standpunkt für die Orientierung wichtig, aber es geht auch darum, die Haltung des anderen wahrzunehmen und zu respektieren. Die neue aus den zwölf verschiedenen Perspektiven entstehende Ganzheit bildet sich gerade aus den unterschiedlichen Blickrichtungen.
eine gelingende Verbindung zwischen „Ich“ und „Welt“
Der Soziologe Hartmut Rosa untersucht in seinem Buch „Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung“, wie eine gelingende Verbindung zwischen „Ich“ und „Welt“ entstehen kann. Er sieht in der Bildung von Resonanzbeziehungen einen Ausweg aus der gegenwärtigen Weltlage, die immer stärker von Entfremdung geprägt ist.
(Rosa lehrt an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Er ist Direktor des Max-Weber-Kollegs der Universität Erfurt.)
wie der Entwurf der Moderne in der Menschheitsentwicklung an ein Ende kommt
2022 wurde er eingeladen, während des Würzburger Diözesanempfangs einen Vortrag zu halten. Er erschien unter dem Titel „Demokratie braucht Religion“. Hartmut Rosa beschreibt darin, wie der Entwurf der Moderne in der Menschheitsentwicklung an ein Ende kommt. Im Zeitalter der Aufklärung und der Französischen Revolution hatten sich die führenden Vertreter dafür eingesetzt, den Mensch von den Fesseln der Tradition zu lösen, Bildung für jeden möglich zu machen und den Unterschied zwischen Arm und Reich zu überwinden. Jeder sollte in die Lage kommen, sein Leben selbständig zu gestalten. Bis dahin prägten die Verhältnisse, in die man hineingeboren wurde, das Leben. Der Einzelne war nicht in der Lage, aus dieser Situation herauszukommen.
Noch in unserer Zeit galt vor einer Generation das Versprechen der Moderne: Es kommt nur darauf an, die richtigen Ideen zu haben, dann sind alle Probleme der Welt lösbar.
Viele empfinden heute Ohnmacht vor den Herausforderungen der Gegenwart, Unfreiheit gegenüber den sich verselbständigenden ökonomischen und technischen Entwicklungen. Künstliche Intelligenz verändert gewohnte Lebensformen grundlegend. Das Leben im Kommunikationszeitalter verläuft wie im Hamsterrad, das sich immer schneller dreht und aus dem man nicht mehr einfach herauskommt. Die Menschheit ist eingegliedert in einen Produktionsmechanismus, der uns zwingt, immer mehr zu produzieren: Wenn kein Wachstum entsteht, bricht das System zusammen. So werden jetzt Ressourcen verbraucht, die zukünftigen Generationen nicht mehr zur Verfügung stehen. Wie kann eine Gesellschaft leben, ohne Wachstum zu produzieren?
Eine sich ständig verändernde Umwelt verlangt nach einer sich fortwährend entwickelnden Persönlichkeit. Dies fällt vielen schwer. So entsteht ein Lebensgefühl, das von Unsicherheit und Entfremdung geprägt ist.
wie grundsätzlich Weltbeziehungen entstehen
Hartmut Rosa geht der Frage nach, wie grundsätzlich Weltbeziehungen entstehen. Eine Strategie verfolgt die möglichst große Aneignung von Weltanteilen. Damit lässt sich der Verfügungsreichtum erweitern, aber die Ressourcen werden ausgebeutet. Eine andere Möglichkeit besteht in der Vertiefung von Beziehungen zu anderen Menschen, zur Natur, zur Umwelt. Zwischen „Ich“ und „Welt“ bilden sich so Resonanzräume, die zu gelingenden Weltbeziehungen führen können.
Hartmut Rosa fasst diese beiden Formen der Weltaneignung in eine Geschichte: Zwei angehende Künstler nehmen an einem Malwettbewerb teil. Der eine besorgt sich eine Staffelei, die richtige Beleuchtung, Farben, Pinsel, die Maluntergründe. Damit ist er die meiste Zeit bis zur Abgabe der Arbeit beschäftigt. Als er zu malen beginnt, ist der letzte Abend vor Ablauf der Frist angebrochen.
Der andere sorgt sich nicht um das Material. Er nimmt einen Bogen von seinem Malblock und einen Wasserfarbkasten. Sogleich beginnt er zu malen, ohne genau zu wissen, was er malen soll. Nach und nach entsteht eine Welt aus Farben und Formen, mit der er etwas anfangen kann.
Der eine hat dafür gesorgt, dass er alle Ressourcen zur Erschaffung eines Bildes zur Verfügung hat. So hat er seine Weltaneignung vergrößert. Sie verhindert durch die Intensität, mit der dieser Weg beschritten wird, die Entstehung eines gelungenen Bildes. Der andere möchte sich ausdrücken. Er verbraucht dafür kaum Ressourcen und tritt durch seine Arbeit in eine Weltbeziehung, in eine Resonanz mit sich und der Welt.
„Resonanz ist eine … Form der Weltbeziehung, in der sich Subjekt und Welt gegenseitig berühren und zugleich transformieren.“
(Hartmut Rosa, Resonanz)
Als Subjekte stehen wir den Objekten und damit der Welt gegenüber. Wie kommt das Subjekt in Beziehung zu dem Objekt? Wenn ich in Resonanz zur Außenwelt treten will, muss ich wissen, welchen Standpunkt ich einnehme, um mit eigener Stimme zu sprechen. Indem ich mich immer besser kennenlerne, kann ich auch besser zur Welt in Resonanz treten. So kann ich mich von dem anderen berühren und möglicherweise verändern lassen. Wenn ich mich darauf einlasse, was ich erlebe, findet eine Verwandlung statt – eine Transformation. Das bedeutet nicht, dass ich meinen Standpunkt vollständig verändern muss. Wenn ich etwas von der Welt aufgenommen habe, was anders ist als ich selbst bin, kann ich mich bereichern lassen, kann in einer Begegnung neue Gedanken aufnehmen, die meine eigenen möglicherweise ergänzen. Eine Begegnung wird zu einer Wesensbegegnung, indem der eine sich dem anderen öffnet und so etwas von seinem Innersten zeigt.
Wie in einer Menschenbegegnung Resonanz entstehen kann, ist diese auch in der Beziehung zur Natur möglich. Eine Pflanze wird zum Gegenüber, der ich wie einem Menschen wesenhaft begegne. Eine Rose trägt eine andere Wesensgeste als eine Buche, ein Hirsch hat ein anderes Wesen als ein Löwe. Wer sich auf diese Form der Resonanz einlässt, beginnt zu erleben, wie die Schöpfung spricht.
Wenn das Subjekt der Welt feindlich gegenübersteht, entfremdet es sich von der Umgebung. In der Entfremdung gelingt es nicht mehr, eine Beziehung zum Umfeld einzugehen. Doch die Sehnsucht nach Verbindung lebt weiter.
drei Resonanzachsen
Resonanz entsteht in drei verschiedenen Richtungen. Horizontale Resonanzachsen bilden sich in Gemeinschaften wie der Familie, einer Freundschaft, während der Arbeit oder in einer Gemeinde. In der Begleitung der Kinder durch die Erwachsenen entstehen im er wieder Notwendigkeiten, sich aufeinander einzulassen und damit zu verwandeln. In einer Freundschaft kann die Spiegelung ein wahrer Freundschaftsdienst sein. Während der Arbeit oder in einer Gemeinde finden sich Menschen, die sich aus eigenem Antrieb möglicherweise nicht gefunden hätten.
Vertikale Resonanzachsen entstehen in der Ausübung der Religion, der Beziehung zur Natur, in der Beschäftigung mit Kunstwerken. In der Religion bildet sich ein Beziehungsraum zwischen der göttlichen Welt und dem Menschen..
Dürer hat in der Illustration zur Apokalypse eine vertikale Resonanzachse dargestellt. Johannes lebt als Mensch in seiner Zeit. Durch seinen Lebensweg, seine Seelenschulung gelingt es ihm, ein inneres Hören auszubilden, mit dem er zur Geistessphäre eine Verbindung aufnimmt. Durch Intuition gelingt eine neue Ebene des Gespräches, ein vertikaler Resonanzraum.
Durch die Art der Naturbetrachtung kann der Blick frei werden für eine im Äußeren nicht sichtbare Schicht. Mit den Sinnen können wir die Natur phänomenologisch erschließen. Wie aus dem Sehen ein Schauen werden kann, so führt uns die phänomenologisch beschriebene Welt zum Ausblick auf die Wesensebene. Eine Pflanze kann zum Meditationsgegenstand werden und in der kontemplativen Betrachtung in einem inneren „Gespräch“ ihr Wesen offenbaren. In diesem lebt das göttliche Wort, das wir uns als Logos, als eine göttliche Struktur vorstellen können, die alles Geschöpfte durchzieht. In einer solchen Betrachtung der Natur eröffnet sich ein vertikaler Resonanzraum, ähnlich wie er in religiösen Praktiken erlebbar ist.
Ein Kunstwerk wird zu einer Tür in eine neue Welt, wenn es auszusprechen vermag, was normalerweise nicht in Worte zu fassen ist. Dann kann es uns im Innersten berühren, wie eine bestimmte Musik das eigene Herz zu öffnen vermag. In einem solchen Erlebnis ist die Trennung zwischen Subjekt und Welt für Augenblicke überwunden: ein weiteres Beispiel für die Bildung einer vertikalen Resonanzachse.
Neben der Horizontalen und Vertikalen schafft die dritte diagonale Resonanzachse Beziehungen zu den Dingen. Man kann sich einen Tischler vorstellen, der liebevoll seinen Tisch baut; er tritt mit seiner Arbeit in eine Beziehung zu dem, was er produziert. Wenn jemand seinen Garten gestaltet, ist er nach getaner Arbeit stolz auf das, wie entstanden ist. Andererseits kann die Arbeit zur Entfremdung vom geschaffenen Gegenstand führen, wenn es in einem industriellen Produktionsprozess am Fließband zum Verlust einer Beziehung zum Produkt kommt.
Ein besonderes diagonales Resonanzverhältnis entsteht während des Abendmahls in einer Messe durch die Wandlung von Brot und Wein. Diese sind zunächst Dinge. Sie erhalten eine neue Bedeutung und werden zu Leib und Blut Christi. In dem Gottesdienst wird aus der diagonalen gleichzeitig eine vertikale Resonanzachse: Durch die Aufnahme von Brot und Wein, das zu Leib und Blut Christi geworden ist, treten wir in der Kommunion in eine vertikale Resonanzebene, in der sich eine neue Verbundenheit mit der göttlichen Sphäre ereignet. Gleichzeitig ist durch die Gemeinde ein horizontales Resonanzverhältnis entstanden, indem sie eine Gemeinschaft bildet, die das Geschehen ermöglicht.
Das Bedürfnis nach Überwindung der Trennung
Das Bedürfnis nach Überwindung der Trennung wird in diesem Vorgang der Möglichkeit nach erfüllt. Gemeinden bieten eine Vielfalt von Resonanzräumen, die Intuition, das innere Gespräch mit dem Geist, ermöglichen. Religion zeigt, wie eine Wiederverbindung mit unserer wahren Heimat gelingen kann.
In seinem Buch „Demokratie braucht Religion“. bezieht sich Hartmut Rosa auf die Jahreslosung „Gib mir ein hörendes Herz“. Dieser Satz findet sich im 1. Buch der Könige, im 3. Kapitel. Der junge Salomo ist König geworden, er soll das Volk leiten und bekommt von Gott die Frage gestellt, was er sich von ihm wünscht. Salomo antwortet: „Oh Herr, gib mir ein hörendes Herz“. Er möchte auf diese Weise hören, damit er weiß, was er als König zu tun hat. Das Wort Auf-hören beschreibt diese Tätigkeit. Im Auf-hören entsteht ein Freiraum, eine Leere, in der etwas hörbar wird, was fortwährend als innere Stimme spricht und doch im alltäglichen Lebensfluss oft überhört wird. Es ist eine große Herausforderung, diesen Freiraum zu ermöglichen. Dürer zeigt Johannes, wie es ihm gelingt, auf-zuhören und im Gespräch mit einem der Ältesten zu sein. Gemeinden sind Orte, an denen dieses Auf-hören geübt wird, wo es still werden kann, wo Formen entwickelt werden, wie wir aufeinander hören, wie Menschen in Freiheit ihren eigenen Weg gehen und sich gegenseitig begleiten und so Resonanz entsteht. Wir brauchen solche Orte, um in eine gelungene Weltbeziehung einzutreten, damit die nötigen Transformationsprozesse verwirklicht werden. Hartmut Rosa schließt seinen Vortrag mit dem Satz: „Eine bessere Welt ist möglich, und sie lässt sich daran erkennen, dass ihr zentraler Maßstab nicht mehr das Beherrschen und Verfügen ist, sondern das hören und antworten.“
Quellen: Hartmut Rosa, Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung, Berlin, 2016
Hartmut Rosa, Demokratie braucht Religion, München 2022